Rechtshoch im Nordosten

Zahl der rechtsextremen Vorfälle 2015 fast vervierfacht

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.
Entspannung in Hellersdorf, extremer Anstieg in Marzahn-Mitte. Rund um Flüchtlingsheime kristallisieren sich rechte Delikte.

»2015 war sehr, sehr stark geprägt von rechtsextremistischen Vorfällen«, sagt Raiko Hannemann. Im Auftrag des Bezirks stellte er am Freitag den Jahresbericht des Marzahn-Hellersdorfer Verzeichnisses vor, dem örtlichen Pendant der sonst als Register bezeichneten Berichte. 298 bestätigte Angriffe, Bedrohungen, Beleidigungen und Pöbeleien, Sachbeschädigungen, Demonstrationen, Aufkleber- und Plakataktionen wurden im vergangenen Jahr gezählt - fast viermal so viele wie 2014. Damals wurden 83 Fälle registriert.

Mit 175 waren mehr als die Hälfte der Fälle rassistisch motiviert. Die gemeldeten Angriffe stiegen im Jahresvergleich von 20 auf 72, Bedrohungen, Beleidigungen oder Pöbeleien verachtfachten sich von 6 auf 48.

Besonders extrem fiel der Anstieg in Marzahn-Mitte aus. Dort verzwölffachten sich die Zahlen von 16 auf 191. Das hing vor allem mit den Aktionen gegen den Bau einer Containerunterkunft am Blumberger Damm zusammen. »Allein 31 sogenannte Montagsdemonstrationen hat es bis zum Sommer gegeben«, berichtet Hannemann. Später wurden sie Kiezspaziergänge genannt. »Besonders auffällig ist der Zusammenhang von Veranstaltungen und Angriffen«, sagt Hannemann.

Es gab allerdings auch ermutigende Signale. So hat sich die 2013 und 2014 sehr aufgeladene Situation um die damals eingerichtete Flüchtlingsunterkunft an der Hellersdorfer Carola-Neher-Straße entspannt. Die Proteste waren eine Blaupause für bundesweite »Nein zum Heim«-Aktionen. Neben demokratiefördernden Aktivitäten sei laut Bericht die »schlichte Tatsache«, dass sich Befürchtungen der Heimgegner »als haltlos erwiesen haben«, Grund für die Beruhigung.

Wichtig sei die Begegnung, sagt Bezirksbürgermeister Stefan Komoß (SPD). So wünschten sich in einem Sportverein bei einem Gespräch alle Übungsleiter, auch Flüchtlingskindern Fußballtraining zu geben. »Einer der Trainer ist selber afrikanischer Asylbewerber«, berichtet Komoß, und so hätten die anderen keine Berührungsängste mehr gehabt.

Hannemann sieht in dem Engagement bei Flüchtlingshilfe und Abwehr fremdenfeindlicher Proteste die Zivilgesellschaft gestärkt. »Ein Schatz wurde gehoben«, sagt er. Eine meist unterschätzte Rolle spiele das »stille Engagement«, wie bei der bezirklichen Freiwilligenagentur, an die sich viele Menschen gewandt haben, die in Unterkünften helfen wollen, aber auch Migrantenselbstorganisationen.

»Persönlich habe ich auch schon viel im Bezirk erlebt«, sagt Mekonnen Shiferaw vom lokalen Bündnis für Demokratie und Toleranz, »das Wichtigste ist aber, dass wir Migranten nicht alleine gelassen werden.« Marzahn-Hellersdorf sei trotz allem ein »Willkommenskulturbezirk«.

»Organisierte Rechtsextreme wird man nie mit unserer Arbeit erreichen können«, gibt sich Komoß realistisch, »aber die Zivilgesellschaft zu stärken, dadurch, dass wir Leute erreichen, die früher politisch aktiver waren«, daran glaube er. Am 19. März soll es auf dem Alice-Salomon-Platz am U-Bahnhof Hellersdorf eine Kundgebung für Toleranz geben. »Nein, das ist keine Gegendemo, die Nazis haben nichts angekündigt. Wir wollen aber nicht immer nur reagieren«, sagt Shiferaw.

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