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«Töricht, absurd und ketzerisch»

Vor 400 Jahren wurde das Hauptwerk von Nikolaus Kopernikus vom Vatikan auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt. Schriften anderer bedeutender Denker folgten. Von Martin Koch

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 5 Min.

Der revolutionäre Akt, wodurch die Naturforschung ihre Unabhängigkeit erklärte«, schrieb Friedrich Engels, »war die Herausgabe des unsterblichen Werkes, womit Kopernikus, schüchtern zwar und sozusagen erst auf dem Totenbett, der kirchlichen Autorität in natürlichen Dingen den Fehdehandschuh hinwarf.« Allerdings vergingen nach Kopernikus’ Tod (1543) noch einige Jahrzehnte, ehe sich die katholische Kirche der neuen Herausforderung stellte. 1615 bot sich hierfür ein geeigneter Anlass. Der italienische Karmeliterpater Paolo Foscarini, der in einem Buch behauptet hatte, dass zwischen der heliozentrische Lehre und der Heiligen Schrift kein Widerspruch bestehe, bat den einflussreichen Kardinal-Inquisitor Robert Bellarmin um seine Meinung. Dieser beharrte in seiner Antwort zwar darauf, dass die Bibel keinen Irrtum enthalte und das kopernikanische System nicht die Wirklichkeit abbilde. Sollte jedoch bewiesen werden, so Bellarmin weiter, dass die Erde sich tatsächlich bewege, müsste man die Bibel wohl oder übel neu auslegen. Bis dahin sei der Heliozentrismus als bloße Theorie zur Erklärung der astronomischen Beobachtungen und nicht als Faktum zu betrachten.

Gleichwohl kam die Römische Inquisition im Rahmen eines von ihr 1616 durchgeführten Untersuchungsverfahrens zu dem Schluss, dass die heliozentrische Lehre »töricht, philosophisch absurd und formell ketzerisch« sei. Davon besonders betroffen war Galileo Galilei, der sich damals gerade in Rom aufhielt, um für die Idee des Heliozentrismus zu streiten. Auf Anweisung von Papst Paul V. wurde er im Februar 1616 von Kardinal Bellarmin ermahnt, vom kopernikanischen Weltbild abzulassen und es fortan weder zu lehren noch öffentlich zu verteidigen. Als Galilei 16 Jahre später erneut in die Mühlen der Inquisition geriet, erhob man gegen ihn den Vorwurf, diese Ermahnung nicht beherzigt zu haben.

Keine Kompromisse machte die katholische Kirche dagegen mit Foscarini und setzte dessen Buch schon 1616 auf den »Index Librorum Prohibitorum«, kurz Index genannt. Diese 1559 erstmals veröffentlichte und ständig aktualisierte Liste enthielt alle Bücher, die ein Katholik bei Androhung der Exkommunikation nicht besitzen oder lesen durfte. Zur Begründung erklärte Papst Leo XIII. noch im Jahr 1885: »Die unumschränkte Freiheit des Denkens und die öffentliche Bekanntmachung der Gedanken eines Menschen gehören nicht zu den Rechten der Bürger.«

Auch das Hauptwerk von Kopernikus, »De revolutionibus orbium cœlestium«, wurde im März 1616 dem Index beigefügt. Allerdings galt das von Rom ausgesprochene Verbot nicht absolut, sondern nur »donec corrigantur«, was so viel heißt wie »bis zur Berichtigung«. Die von der Kirche verlangten Änderungen des Werkes, die darauf zielten, den hypothetischen Charakter der Erdbewegung deutlich hervortreten zu lassen, erschienen im Jahr 1620. Jeder Katholik, der Kopernikus’ Buch besaß, hätte diese Korrekturen eigentlich vornehmen müssen. Aber nur wenige taten das, wie der US-Astronom Owen Gingerich 2002 feststellte: Von rund 400 noch existierenden Exemplaren der ersten beiden Ausgaben von »De revolutionibus« waren lediglich 33 korrigiert worden, die meisten in Italien.

Der nächste große Naturforscher, den der Bannstrahl der Inquisition traf, war Johannes Kepler. Dessen Werk »Epitome Astronomiæ Copernicanæ«, eine mehrbändige Zusammenfassung des Heliozentrismus, kam 1619 auf den Index. Gleiches widerfuhr 1634 dem »Dialog über die beiden hauptsächlichen Weltsysteme« von Galilei, der kurz zuvor in Rom zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Die Schriften Isaac Newtons hingegen, die dem neuen Weltbild eine feste theoretische Grundlage gaben, blieben von einem Verbot verschont.

Obwohl sich die katholische Kirche »bereits« 1758 dazu durchgerungen hatte, die Auffassung von der Bewegung der Erde um die Sonne nicht mehr explizit zu verurteilen, hielt sie am Verbot der inkriminierten Werke von Kopernikus, Kepler und Galilei fest. Erst im Jahr 1835 wurden diese endgültig vom Index genommen.

Die Namen anderer Wissenschaftler und Autoren blieben dort viel länger stehen, manche sogar bis zur Abschaffung der Liste durch Papst Paul VI. im Jahr 1966: Giordano Bruno, René Descartes, Baruch Spinoza, Voltaire, Immanuel Kant, Denis Diderot, Heinrich Heine, Émile Zola, Jean-Paul Sartre, um nur einige zu nennen. 1817 kam Erasmus Darwin hinzu, dessen Werk »Zoonomia« im Verdacht stand, die Leser zum Materialismus und Atheismus zu verführen. Eigentlich sollte man annehmen, dass auch die Bücher von Erasmus’ Enkel Charles Darwin auf dem Index landeten. Ein Irrtum. Der Begründer der Evolutionstheorie war anscheinend von niemandem angezeigt worden. Bleibt die Frage: Warum tat die Kirche gar nichts? Solange ein Wissenschaftler nach Meinung Roms nur eine Hypothese vertrat, ließ man ihn gewöhnlich gewähren, sagt der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf, der 1992 als erster Wissenschaftler Zugang zum Inquisitionsarchiv erhielt: »Aber sobald einer herging und diese naturwissenschaftliche Hypothese in einen Zusammenhang mit der Bibel brachte, dann wurde es ein Problem.« So geschehen im Fall des katholischen Priesters John Zahm, der an der University of Notre Dame im US-Bundesstaat Indiana lehrte. Weil er in seinem Buch »Evolution und Dogma« (1895) versucht hatte, zwischen Darwin und dem Katholizismus zu vermitteln, kam dieses auf den Index, wenngleich die Kirche wegen der politischen Situation in den USA hier sehr diskret vorging.

Manche Bücher wurden in Rom zwar angezeigt, aber nicht verboten. Wie »Onkel Toms Hütte« von Harriet Beecher Stowe. 1853 stellte ein Gutachter fest, dass Stowes Plädoyer für die Sklavenbefreiung ein versteckter Aufruf zur Revolution in Europa sei. Ein anderer Gutachter hielt das Buch für empfehlenswert, und Papst Pius IX. schloss sich dem an. Auch Hitlers »Mein Kampf« gelangte nicht auf den Index, im Gegensatz übrigens zu dem antisemitischen Machwerk »Der Mythus des 20. Jahrhunderts«, das der Nazi-Philosoph Alfred Rosenberg verfasst hatte. »Im Grunde war die Liste der Gutachten zur Verurteilung von ›Mein Kampf‹ schon fertig«, sagt Wolf. Doch dann wurde im letzten Moment alles gestoppt. Ob dies auf Veranlassung von Papst Pius XI. oder dessen Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli (dem späteren Papst Pius XII.) geschah, ist bis heute ungeklärt. Laut Wolf könnte der Vatikan einfach der katholischen Auffassung gefolgt sein, dass jede staatliche Gewalt von Gott stamme und mithin zu respektieren sei. Abgesehen davon hatte Hitler als bekennender Todfeind des Bolschewismus in Rom einflussreiche Sympathisanten. Vielleicht wurde er deshalb in besonderer Weise geschont.

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