Weil wir nicht länger zuschauen können
»Refugee Support Calais« startet Hilfsprojekt im »Dschungel« von Calais
Liebe Freunde und Freundinnen, Bekannte und Interessierte,
die humanitäre Lage ist nicht nur an den Außengrenzen der EU katastrophal, sie spitzt sich auch an den wieder errichteten Binnengrenzen zu. Aufgrund der Grenzschließungen und den zunehmenden Verschärfungen in den Asylgesetzgebungen der Mitgliedsstaaten sind überall in Europa Menschen mit ihren Hoffnungen auf ein sicheres und menschenwürdiges Exil gestrandet.
Einer dieser Orte, an denen die europäische Abschottung gravierende Gefahren für Leib und Leben von Geflüchteten auch im Herzen Europas offenbart, ist die nordfranzösische Hafenstadt Calais. Seit Jahren versuchen MigrantInnen hier, nach Großbritannien überzusetzen. Ihre Gründe sind legitim und so verschieden wie die Fluchtursachen. Doch seit der Militarisierung der Hafenanlagen und der Abriegelung des Eurotunnels im Oktober 2015 wird eine Weiterreise immer gefährlicher und unwahrscheinlicher. Seitdem sitzen Tausende im sogenannten ›Jungle‹ von Calais fest, manche von ihnen staatenlos weil es ihre Herkunftsländer faktisch nicht mehr gibt, andere werden von Familienangehörigen nur 30 km entfernt auf der anderen Seite des Ärmelkanals erwartet und erhalten dennoch keine Einreiseerlaubnis. Viele können also weder weiter noch zurück. Asylanträge sind in Frankreich von Seiten des Staates kaum gewollt und aufgrund der restriktiven Praxis des französischen Asylverfahrens sowie den geringen Anerkennungschancen auch für die meisten Geflüchteten keine sinnvolle Alternative. Hinzu kommt eine kompromisslose Haltung der französischen Politik, die gewaltsame Intervention von Polizei und Sicherheitskräften im Camp sowie eine rassistische Alltagskultur im Großraum Calais und eine massive Bedrohung durch immer mehr rechte und neonazistische Aktivitäten im Umfeld des »Jungle«. Seit Ende Januar wird das Camp täglich mit Tränengas beworfen und ab dem 29.02. erfolgte eine (wie sich später herausstellte rechtswidrige) Teilräumung im südlichen Teil des Camps. Die in den letzten Monaten mühevoll errichteten Behausungen, Infrastruktureinrichtungen und Religionshäuser (eine Kirche, eine Moschee, eine Bibliothek, etliche Restaurants, verschiedene Schulgebäude und ein Rechtshilfezentrum) wurden zerstört. Nun herrscht Ungewissheit, es gibt täglich Brände und über tausend Menschen haben ihre improvisierte Obdach verloren.
Umso wichtiger ist es in diesen Tagen der Perspektivlosigkeit, die Unterstützung aufrecht zu erhalten, denn die Menschen sehen keine Alternative als dort zu warten. Seit Monaten helfen selbstorganisierte Freiwilligenstrukturen aus Großbritannien, Frankreich und Deutschland bei der Basisversorgung im Camp, denn große Hilfsorganisation und staatliche Akteure sind nicht vor Ort. Die humanitäre Hilfe ist in Calais also unmittelbar verschränkt mit der direkten Unterstützung der Geflüchteten im Kampf für ihre Rechte und ein menschenwürdiges Leben. Es gab, trotz der angespannten Situation und der sich verschärfenden Repression, in den letzten Wochen viele Proteste und politische Aktivitäten wie einen Hungerstreik von Geflüchteten und eine gemeinsame, große Solidaritätsdemonstration von Refugees und UnterstützerInnen in Calais.
Weil wir nicht länger zuschauen können, wie die Staaten Europas hunderttausende Menschen auf ihrer Flucht physisch und psychisch zugrunde richten, werden wir die Selbstorganisation und die politischen Kämpfe der Geflüchteten in Calais durch eine Support-Tour unterstützen. Wir starten am Dienstag, den 22.03. frühs in Leipzig und werden eine Woche vor Ort sein.
Die Autoren dieses Blogs sind allesamt freiwillige Helfer des Projektes »Refugee Support Calais«
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