Tim und Struppi weinen um Opfer von Brüssel

Pariser Regierung hofft nun auf Beilegung des Streits zwischen Nationalversammlung und Senat

  • Bernard Schmid, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Frankreichs Staatsspitzen reagieren mit martialischen Vergleichen auf Brüssel. Die Karikaturisten zeigen sich fantasievoll und kreativ.

«Wir sind im Krieg, und Europa ist im Krieg!» So lautete die erste Reaktion des französischen Premierministers, des sehr weit rechts stehenden Sozialdemokraten Manuel Valls, am Dienstag auf die mörderischen Attentate von Brüssel. Zum wiederholten Male äußerte der Politiker, der seit April 2014 an der Spitze der französischen Regierung steht, sich auf martialische Weise, die den Unterschied zwischen einem Terroranschlag und einem zwischenstaatlichen Krieg nivelliert. Etwas zurückhaltender und feierlicher blieb sein Vorgesetzter, Staatspräsident François Hollande. Er erklärte: «Belgien wurde getroffen, doch Europa war im Visier, und die gesamte Welt ist betroffen.»

Auf ihre Weise wandten sich dem Thema viele Zeichner und Karikaturisten zu. In der in Clermont-Ferrand erscheinenden Zeitung «La Montagne» zeigte eine Karikatur etwa die beiden legendären belgischen Comicfiguren Tim und Struppi, die sich weinend umarmen. Sie verkörpern Frankreich und Belgien, die beide von Attentaten getroffen wurden. Ebenfalls von Paris aus meldete sich der dort im Exil lebende algerische Karikaturist Ali Dilem. Er zeichnete einen Mann mit einem Schild «Ich bin Brüssel», angelehnt an «Je suis Charlie» vom Januar 2015. Eine Menge von Schildträgern mit Aufschriften wie «Ich bin Mali», «Ich bin Ankara» oder «Ich bin Beirut» schaut ihn an, und der Mann mit dem Brüssel-Schild fragt zaghaft: «Könnt ihr mir ein bisschen Platz machen?»

Wie zu erwarten, wurde der Schrecken über die neuen Anschläge aber auch alsbald politisch ausgenutzt. Der französische Minister für parlamentarische Angelegenheiten, Jean-Marie Le Guen, forderte etwa die beiden Kammern des Parlaments - Nationalversammlung und Senat - dazu auf, sich nun endlich zu einigen und die heftig umstrittene Ausbürgerungsregel zu verabschieden, um sie in die Verfassung aufnehmen zu können. Diese geplante Bestimmung, die bislang noch durch Uneinigkeiten zwischen der sozialdemokratisch dominierten Nationalversammlung und dem konservativ beherrschten Senat verhindert wird, verkauft man als eine der Lehren aus den Pariser Attentaten vom November.

Dabei geht es darum, verurteilten terroristischen Straftätern - laut einer Vorlage des Senats - oder eben den Urhebern von «Verbrechen oder Vergehen gegen fundamentale Interessen der Nation - so die sehr viel ungenauere und weiter gefasste Version der Nationalversammlung - die französische Staatsbürgerschaft entziehen zu können. In den Augen des Senats soll es nur Doppelstaatsangehörige treffen können. Die, in sich zerstrittene, sozialdemokratische Mehrheit der Nationalversammlung versuchte, auf die Kritik zu antworten, derzufolge eine solche Regelung diskriminierend wirken würde.

Ihr Textentwurf ermöglicht deswegen sogar die Ausbürgerung für alle Betroffenen, egal ob mit oder ohne zweite Staatsbürgerschaft, was aber das Problem der potenziell staatenlos Werdenden aufwirft. Die Forderung, man müsse bestimmte Straftätergruppen »aus der nationalen Gemeinschaft ausschließen« können, wurde zuvor seit Jahrzehnten von der extremen Rechten erhoben. Sozialisten zeigen dafür erst seit November ein offenes Ohr. Bislang schien es aber, als werde das stark ideologisch geprägte Vorhaben schlussendlich an der Uneinigkeit zwischen den Kammern scheitern. Le Guen möchte nun die Gunst der Stunde nutzen, um doch noch zur Einigung auf ein Gesetz zu kommen.

Die Zahl der ständig patrouillierenden Gendarmen und Polizisten wurde in Frankreich am Mittag laut Regierung um 1600 erhöht. Seit den Attentaten vom November sind daneben bereits 7000 Soldaten im inneren Einsatz. Auf der Ebene der strafrechtlichen Ermittlung erhofft die französische Regierung sich für kommenden Monate nun Aufklärung über die Hintergründe der November-Attentate in Paris.

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