Die Wunden sind noch sichtbar

Auf den Spuren der Partisanen in der Grenzregion von Österreich und Slowenien

  • Lilo Solcher
  • Lesedauer: 6 Min.

Er empfängt mit einem Gläschen »Widerstandsgeist«, einem besonderen Lebenselixier. Zdravko Haderlap, Künstler, Regisseur, Choreograf, Kulturvermittler, ist auf den Hof seiner Vorväter zurückgekehrt - als Bergbauer. Doch den Widerstandsgeist, der sein ganzes Leben und auch seine künstlerische Arbeit geprägt hat, den hat der mittlerweile 51-Jährige nicht aufgegeben. Vor acht Jahren hat er die sogenannte »A-Zone« als »kreativen Motor für die Regionalentwicklung« gegründet und seither blüht am abgelegenen Vinklhof im Lepena-Tal in Kärnten dicht an der Grenze zu Slowenien neben der Landwirtschaft auch die Kunst.

Für die tänzerische Annäherung an den Roman »Engel des Vergessens« seiner Schwester Maja Haderlap (Bachmann-Preisträgerin 2011), die er 2013 gemeinsam mit rund 60 Mitwirkenden aus der Region gewagt hat, wurde der Querkopf sogar mit dem »Outstanding Artist Award« für innovative Kulturarbeit geehrt, den der Österreichische Staat für besondere künstlerische und kulturelle Leistungen vergibt.

Infos

Literaturwanderung:
Über Zdravko Haderlap, Lepena 19, A-9135 Bad Eisenkappel, Tel.: (0043) 4238/8495, Handy: (0043) 699 10717634, E-Mail: zdravko@aon.at, http://www.haderlap.at/

Touristische Infos:
www.klopeinersee.at

Literatur:
Peter Handke, »Immer noch Sturm«, Suhrkamp Taschenbuch, 2012, 8,99 €

Florian Lipuš, »Boštjans Flug«, Suhrkamp Verlag, 2012, 19,95 €

Dabei legen die Haderlaps den Finger in die Wunden, die hier im Grenzgebiet zu Slowenien noch lange nicht verheilt sind. Majas Ich-Erzählerin konfrontiert die Leser mit Folter und Mord, mit der Verschleppung in Vernichtungslager und dem verzweifelten Kampf der Partisanen im Zweiten Weltkrieg. Und auf einer Literaturwanderung mit dem Bruder wird eine Geschichte lebendig, die den meisten von uns fremd ist. Auch deshalb hat Zdravko die Aufnahmeleitung für den Dokumentarfilm »Der Graben« übernommen, der den Kampf der Partisanen gegen die Nazis in der Region zum Inhalt hat und der unlängst im ORF lief. War doch seine Kindheit überschattet von den Erfahrungen seiner Familie: die der Großmutter, die, auf 32 Kilogramm abgemagert, aus dem KZ Ravensbrück befreit wurde, die des Großvaters als Deserteur, die des Vaters, der sich als Junge den Partisanen anschloss und von den Nazis gefoltert wurde und später seine Kinder terrorisierte. Das alles, so meint der Mann mit den blauen Augen und den grauen Locken unterm Partisanenkäppi, dürfe nicht in Vergessenheit geraten.

Seine Literaturführungen sind deshalb immer auch eine Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg, der in diesem Grenzgebiet zwischen Österreich und Slowenien erst am 17. Mai 1945 endete und der sich tief in das kollektive Gedächtnis der Menschen hier eingegraben hat.

Während der Wanderung durch düstere Wälder und Wiesen mit immer neuen Ausblicken auf die wuchtigen Felsstöcke der Karawanken erzählt Zdravko nicht nur vom Kampf der slowenischen Partisanen, sondern auch von einer »Re-Nazifizierung« in Kärnten, die dafür sorgte, dass den slowenischen Opfern der Nazizeit erst spät Gerechtigkeit widerfuhr. »Man hat hier Pseudomythen entwickelt«, sagt Haderlap bitter, »Kärnten über alles«. Die Slowenen wurden diskriminiert, bildeten eine Art Parallelgesellschaft. Österreich habe nie offiziell eingeräumt, dass vor allem die Kärntner Slowenen, die als einzige im »Deutschen Reich« einen bewaffneten Widerstand organisiert hatten, maßgeblich zur Entstehung der Zweiten Republik beitrugen. Denn für den Staatsvertrag, der am 15. Mai 1955 geschlossen wurde, wurde eben dieser Widerstand der Kärntner Slowenen als wesentlicher Beitrag zur Niederringung des Naziregimes ins Feld geführt.

Auch das will Zdravko vermitteln, während er seine Gruppe entlang von malerischen Bachläufen und hinauf über wilde Waldsteige führt, vorbei an Tatorten aus Kriegs- und Nachkriegszeiten.

Da wurden in einem Haus am Berg Bauer und Bäuerin und der Großvater von Nazischergen ermordet und das Haus niedergebrannt. Dass heute in den Ruinen Blumen blühen, ist dem Lehrer und Schriftsteller Valentin Polansek zu verdanken, der die Morde dem Vergessen entrissen hat. Er habe durch seine Romane den Slowenen »Sprache und Selbstwertgefühl« zurückgegeben, lobt Zdravko, und die Gedenkstätte bis zu seinem Tod 1985 gepflegt.

Fast zu jedem Haus hat er eine Geschichte, die meisten sind tragisch. Wie die des verlassenen Peternel-Hofes, wo der nicht mehr erwartete Heimkehrer von seiner Frau und deren Kumpanen kurzerhand erschlagen wurde, nachdem er Krieg, Gefangenschaft und ein Minenräumkommando überlebt hatte. Das Verbrechen blieb lange ungesühnt und wurde erst Jahre später aufgeklärt. Wie vieles wohl in dieser entlegenen Gegend.

Im Peršman-Hof wird offenbar, dass auch der Widerstand seine Schattenseiten hatte. Das 2012 eingerichtete Museum erinnert an ein Massaker, dem elf Menschen zum Opfer fielen, darunter sieben Kinder, das jüngste gerade mal acht Monate alt. Kurz vor Kriegsende feierten die Partisanen hier schon ihren Sieg, als eine Spezialeinheit von Nazisöldnern sie aufspürte. Die bewaffneten Kämpfer ließen alles stehen und liegen und die Familie und die Kinder ungeschützt zurück. Im Kugelhagel der Söldner starben die Hofbauern Ana und Lukas Sadovnig, die 80-jährige Altbäuerin Franziska, die Schwester des Bauern, Katarina Dobravc, die Kinder Viktor, Franziska, Bogomir, Albina und Filip Sadovnik und die beiden Nachbarskinder Adelgunde und Stanko Kogoj. Der Hof und die Wirtschaftsgebäude wurden von den Nazis niedergebrannt.

Dass es gegen die an dem Massaker beteiligten Soldaten nie zu einem ordentlichen Gerichtsverfahren kam, ist nur ein Teil der Geschichte. Der andere erzählt von den drei überlebenden Kindern, die durch die Politik noch einmal zu Opfern gemacht wurden, weil ihnen die Opferrente verweigert wurde. Die zynische Begründung: Die Kinder waren zu jung, um im Widerstand zu kämpfen, deshalb stünde ihnen auch kein Geld zu. Man kann Zdravko ansehen, wie sehr ihn diese Geschichte immer noch aufwühlt. Wie furchtbar er es findet, dass die Partisanen ihre Unterstützer im Stich ließen, um ihr eigenes Leben zu retten.

Und doch ist er überzeugt davon, dass der slowenische Widerstand wichtig und richtig war. Auf dem Weiterweg weist er auf einen Felsbrocken, über den spärlich Wasser rinnt. »Klassisches Partisanengebiet« sei das hier, sagt er, »mit Grotten und Höhlen. Alles voll mit Technikbunkern, Stabsbunkern, Erdbunkern und Kurierbunkern.« Die Informationen seien von Kindern und Jugendlichen in Tagesmärschen weitergetragen worden, und unter dem Berg Ojstra »gab es sogar eine ganze Druckerei in einem Bunker, in der eine eigene Zeitung hergestellt wurde«.

Zdravko lässt hier ein Stück aus dem Buch »Immer noch Sturm« von dem bekannten österreichischen Schriftsteller Peter Handke vorlesen, der im nahen Griffen als Sohn einer Kärntner Slowenin und eines deutschen Wehrmachtssoldaten geboren wurde, in dem Buch der eigenen Familiengeschichte nachgespürt und dem slowenischen Widerstand ein literarisches Denkmal setzt.

Zdravko Haderlap ist überzeugt davon, dass die Zeit reif ist, um »nach zwei Generationen Schweigen« die Geschichte der Partisanenkämpfe in der Region im Zweiten Weltkrieg wieder ins Bewusstsein zu rücken. Einer, der sich da sehr verdient gemacht hat, ist Florian Lipuš, Sohn einer Magd, die im KZ ums Leben kam, Kindersklave, Lehrer und slowenischer Schriftsteller. Aus seinem Buch »Boštjans Flug« erfährt die Literaturwandergruppe, dass »in den Bergen mit der Schönheit kein Staat zu machen war«, so Zdravko. Und doch umgibt die Wanderer hier pure Schönheit: grüne Wiesen, blühende Obstbäume, schneebedeckte Gipfel, dunkle Wälder, murmelnde Bächlein. Wer von oben, vom Berggasthof Riepl, den auch so ein Widerspenstiger führt, hinunterschaut, dem geht die Seele auf. Und wenn Wirt Edi Walisch ihm dann auch noch eines seiner berühmten Pilzgerichte auftischt, dann sind Leib und Seele gleichermaßen beglückt.

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