Die FIFA im Menschenrechtsabseits

Amnesty erhebt schwere Vorwürfe wegen Zuständen im WM-Land Katar

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wirft dem Fußballweltverband in einem neuen Report mangelnden Einsatz gegen Menschenrechtsverletzungen auf den WM-Baustellen in Katar vor.

Neu ist es leider nicht, was Amnesty International in dem 52-seitigen Report mit dem Titel »Die hässliche Seite eines schönen Spiels - Ausbeutung auf einer Spielstätte der Weltmeisterschaften 2022« zusammengetragen hat. Viele der Vorwürfe wie etwa illegale Rekrutierungsgebühren, unvollständige und verspätete Lohnzahlungen, das Einziehen der Pässe und miese Unterkünfte waren bereits bekannt.

Ein neuer Reizpunkt ist aber, dass katarische Unternehmer nicht einmal nepalesischen Arbeitern nach dem Erdbeben dort die temporäre Ausreise gestatteten, um ihre Familien zu sehen. Auch Amnesty selbst ist nicht überrascht von den Ergebnissen. Diese Studie ist bereits ihre fünfte seit der Vergabe der Weltmeisterschaften an Katar. Weil sich trotz dieses Drucks wenig getan hat, gerät nun auch der Weltfußballverband (FIFA) selbst stärker ins Visier.

»Wir hatten Gespräche mit Politikern und mit dem Organisationskomitee, dem Supreme Committee of Delivery and Legacy. Wir sind dort auf Verständnis und auch Betroffenheit gestoßen. Das hat 2014 zu einer Verpflichtung zu Standards geführt. Wenn diese Standards eingehalten würden, wäre es auch großartig. Es hapert aber an der Umsetzung«, erklärte Regina Spöttl, Beauftragte von Amnesty Germany für Katar, dem »nd«.

Die aktuelle Studie von Amnesty International beschränkt sich auf Arbeiter der Stadionbaustelle Al Khalifa und des angrenzenden Komplexes der Aspire Zone. Die Aspire Zone nutzen schon jetzt viele europäische Fußballklubs, darunter auch der FC Bayern München und Schalke 04, als Wintertrainingslager. Zwischen Februar 2015 und Februar 2016 interviewte das Untersuchungsteam insgesamt 234 Arbeiter.

Alle erzählten, dass sie Rekrutierungsgebühren zwischen 450 und 3800 Euro zahlen mussten - nicht wenig angesichts von Monatslöhnen zwischen 350 und 450 Euro. Auf den Profifußball angewendet hieße das, dass die Ablösesummen für den Wechsel von Spielern nicht vom erwerbenden Klub, sondern vom Spieler selbst gezahlt werden müssten. Per Gesetz verbietet Katar sogar Rekrutierungsgebühren. Durchgesetzt wird das allerdings nicht. Und Supreme Committee und FIFA machen munter mit beim ausbeuterischen Gesetzesbruch.

228 der 234 befragten Arbeiter sagten, dass ihnen bei der Ankunft in Katar Arbeitsverträge mit veränderten Konditionen ausgehändigt wurden. Der Lohn war geringer als vereinbart, die Arbeit oft schwerer, anstrengender und mit einer geringeren Qualifikation verbunden. Wenn Arbeiter sich über die veränderten Vertragsbedingungen beschweren, reagieren die Vorgesetzten gern so: »Arbeitet für ein bis drei Monate weiter zu diesen Konditionen und akzeptiert einfach, was ihr kriegt. Wenn ihr nicht arbeitet, kriegt ihr gar kein Geld und auch nicht euren Pass zurück.«

Diese Drohung ist das wirksamste Instrument, um die Arbeiter gefügig zu halten. Das bestätigten auch »nd«-Recherchen in Katar. Die meisten der aktuell von Amnesty International befragten Arbeiter waren noch nicht einmal in den neuen Vorzeige-Unterkünften untergebracht, durch die das Supreme Committee Journalisten so gern führt, um Fortschritte zu demonstrieren.

Das Supreme Committee selbst störte sich in einer Stellungnahme am »scharfen Ton« der Vorwürfe von Amnesty International. Es versuchte auch zu relativieren. »Amnestys Untersuchung war auf nur vier von über 40 Unternehmen beschränkt, die gegenwärtig am Khalifa Stadion tätig sind. Die geschilderten Bedingungen sind nicht repräsentativ«, hieß ist in der Stellungnahme. Das mag sein. Ob es aber bei den 36 anderen Unternehmen ähnlich, besser oder auch schlimmer aussieht, erfährt man nur, wenn man sie auch unter die Lupe nimmt. Amnestys Stichproben sind jedoch ein Alarmsignal. Sie zeigen, dass man auch auf solch einer Prestigebaustelle die Dinge eben nicht im Griff hat.

Daher ist nachvollziehbar, dass der Druck auf die FIFA selbst erhöht wird. Insgesamt warf Amnesty International dem Weltfußballverband »große Passivität beim Verhindern und Abstellen von Menschenrechtsverletzungen« vor und forderte den Weltverband zu eigenen Kontrollen auf den Baustellen in Katar sowie stärkere Einflussnahme für Reformen im Land auf.

Die Reaktion darauf war lau. »Die FIFA ist überzeugt, dass die Strukturen und Prozesse des Supreme Committees eine gute Basis sind, um die Rechte der Arbeitsmigranten auf den WM-Baustellen zu überwachen«, hieß es in einem FIFA-Statement. Das soll wohl heißen: Läuft alles fein. Rekrutierungsgebühren, Drückerlöhne und miese Unterkünfte interessieren uns nicht. Eine schwache Leistung.

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