»Palmyra hat uns alle wachgerüttelt«

Historische Stätten werden unvermindert zerstört und geplündert, um die eigene Überlegenheit zu demonstrieren. Was ließe sich dagegen unternehmen? Ein Gespräch mit dem Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates.

  • Lesedauer: 5 Min.

Von der Zerstörung und dem Verlust der historischen Bibliothek von Alexandria bis zu den zerstörten Buddha-Statuen in Bamiyan und der antiken Stadt Palmyra: Was veranlasst die »Sieger«, Kulturschätze zu vernichten oder zu rauben?
Wenn wir uns die Kriege in allen Jahrhunderten anschauen, dann waren das nicht nur militärische Kriege gegen Menschen, sondern auch Kriege gegen die kulturellen Artefakte einer Bevölkerung. Weil auch die kulturelle Überlegenheit bewiesen werden sollte, haben - nicht immer, aber sehr oft - die Sieger den Besiegten auch kulturellen Schaden zugefügt, indem sie ihre Kulturobjekte entweder zerstört oder geraubt haben. Die Objekte sollten nicht in der Hand des Besiegten bleiben.

Wie viele Kunstschätze sind wohl im Laufe der Geschichte zerstört worden?
Es ist eine unzählbar große Anzahl von Kunstwerken und Kulturobjekten, die in kriegerischen Auseinandersetzungen zerstört wurden. Wir brauchen nur in unsere eigene Geschichte, die Geschichte des Zweiten Weltkrieges zu schauen, wie viel Kunstwerke wir zerstört haben, wie viel Kunstwerke auch in Deutschland zerstört wurden. Stellen Sie sich die Welt vor, ohne dass es den Zweiten Weltkrieg gegeben hätte, wie viel Kunstschätze noch erhalten wären, wenn es diese Barbarei nicht gegeben hätte, wenn es nicht die Zerstörung von ganzen Städten, von ganzen Landstrichen gegeben hätte.

Olaf Zimmermann

Olaf Zimmermann, Jahrgang 1961, ist ehemaliger Kunsthändler, Publizist und seit 1997 Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Er gibt die verbandseigene Zeitung »Politik & Kultur« heraus. Mit ihm sprach Niels Seibert.
Foto: imago/IPON

Heute müssen wir feststellen, dass die Zerstörung von Kunstwerken und Kulturobjekten nicht abnimmt, sondern in den vergangenen Jahrzehnten sogar wieder zugenommen hat. Das haben wir gerade auch beim »Islamischen Staat« erlebt, der ja ganz offensiv, auch zu Propagandazwecken, Kunst zerstört hat, um seine vermeintliche Überlegenheit zu demonstrieren. Letztendlich ist das auch ein Versagen der Weltgemeinschaft.

Lassen sich Zerstörung und Raub überhaupt verhindern?
Sie lassen sich nicht vollständig verhindern, aber wir müssen noch viel mehr dagegen tun als bisher. Palmyra und die anderen Zerstörungen in den letzten Jahren haben uns alle wachgerüttelt. Wir müssen international viel stärker zusammenarbeiten. Es braucht international abgesprochene Notfallpläne. Wir müssen noch stärker darauf achten: Was könnte passieren? In welchen Regionen haben wir aktuell kriegerische Auseinandersetzungen? Wo müssen wir sie möglicherweise erwarten? Wie können wir Weltkulturerbestätten besser sichern?

Es geht in erster Linie immer darum, Menschenleben zu retten. Aber an zweiter Stelle geht es dann auch darum, die kulturellen Artefakte einer Gesellschaft zu bewahren. Während sich Organisationen wie das Rote Kreuz oder der Rote Halbmond in Kriegszeiten um Menschen kümmern, muss es auch eine Organisation geben, die mit den notwendigen Ressourcen ausgestattet ist, um sich wirksam um Kunst und Kultur zu kümmern.

Wie groß ist der Markt für geraubte Kunst?
Es ist ein großer, internationaler Markt. Es gibt genügend Menschen, die bereit sind, für solche Unikate viel Geld auszugeben. Jemand, der aus illegalen Quellen archäologische Kunstwerke ankauft, ist bereit, das Verbrechen zu unterstützen und wird selbst zum Verbrecher.

Wer kauft illegal eingeführte Kunst?
In vielen von uns liegt diese obsessive Lust, bestimmte Stücke besitzen zu wollen. Auch ich bin Sammler und gebe mich der Lust hin, Kunstwerke zu kaufen. Aber es gibt eine rechtliche und eine zivilisatorische Grenze. Ich darf nicht dieser Obsession vollkommen erliegen. Ich darf mich ihr nicht ausliefern. Spätestens dann muss Schluss sein, wenn es sich um illegale, geraubte Stücke handelt. Diese Diskussion müssen wir viel offener führen.

Ich war selbst früher Kunsthändler. Das ist eine kleine Familie von Sammlern und Händlern, eine sehr enge verschworene Gemeinschaft. Aber auch sie muss klare ethische Grundsätze haben und sagen: Mit geraubter Kunst wollen wir nichts zu tun haben.

Die Plünderungen führen zu Beschädigungen unmittelbar am Kunstwerk, das dann oft in irgendeiner Privatsammlung verschwindet und nicht mehr der Allgemeinheit zur Verfügung steht. Die Raubgräber richten aber auch riesige Schäden an den archäologischen Stätten an. Das macht die wissenschaftliche Auswertung des Fundzusammenhanges sehr oft unmöglich.

Aus der jüngeren deutschen Geschichte kennen wir auch die Zerstörung von Gebäuden, weil der herrschende Geschmack ein anderer wurde. Welches Bauwerk fällt Ihnen als erstes ein?
Als Berliner fallen mir dazu natürlich mehrere Beispiele ein. Hier ist man immer schon gerne bereit gewesen, schnell abzureißen. Der Palast der Republik - das sage ich als Wessi - ist eines von diesen Gebäuden, wo eine Entscheidung getroffen wurde, die ich nicht so getroffen hätte. Denn zur Bewahrung der eigenen Kultur gehört auch, sich mit geschichtlichen Gebäuden auseinanderzusetzen. Und natürlich ist es politisch und kulturell mehr als fragwürdig, wenn das eine System dem anderen überwundenen System die Gebäude abreißt. Das ist eine sehr kurzsichtige Geschichtswahrnehmung.

Bei den Zerstörungen von kulturellen Artefakten sind wir oft damit konfrontiert, dass man Fakten, die man einmal geschaffen hat, nicht mehr revidieren kann, selbst wenn man nachher weiß, dass es ein Fehler war, Tabula rasa gemacht zu haben. Aber damit kein Missverständnis aufkommt: Die kulturelle Bedeutung der Ruinenstätte in Palmyra und des Palastes der Republik ist sehr unterschiedlich. Aber für Deutschland und für unsere Geschichtsbetrachtung ist die Frage, wie wir mit einem Gebäude wie dem Palast der Republik umgegangen sind, natürlich auch paradigmatisch.

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