Nachricht von Kaspar Hauser

War das Findelkind ein Pfarrerssohn aus Passau, der versteckt werden sollte?

  • Klaus Tscharnke, Nürnberg
  • Lesedauer: 4 Min.
Lange hielt man den Findling Kaspar Hauser für einen verstoßenen badischen Erbprinzen. Diese Theorie ist weitgehend widerlegt. Jetzt glaubt ein Heimatforscher, der Lösung des Rätsels sehr nahe zu sein.

Eigentlich hatte Josef Heindl nur die Geschichte seiner niederbayerischen Heimatgemeinde Reichstorf aufarbeiten wollen. Beim Studium alter Pfarrbücher und Chroniken stieß der Heimatforscher aber auf einmal auf Hinweise, die ihm merkwürdig vorkamen. Denn immer wieder tauchten in Tauf-, Heirats- und Sterbebüchern der Region Passau die Familiennamen »Hauser« oder »Hausner« auf - ein Geschlecht, das nach Heindls Recherchen schon im 14. Jahrhundert von der oberen Donau in den südostdeutschen Raum gezogen war.

Die Neugier des pensionierten Polizeibeamten war geweckt. Und inzwischen - nach Tausenden Stunden kriminalistischer Recherche - gibt es für den 75-Jährigen kaum noch einen Zweifel: Der am Pfingstmontag 1828 in Nürnberg wie aus dem Nichts aufgetauchte merkwürdige Findling Kaspar Hauser, über dessen Herkunft Historiker seit fast zwei Jahrhunderten rätseln, stammt aus Ostbayern, wahrscheinlich aus der Umgebung von Passau.

Kaspar Hauser

Am Pfingstmontag 1828 trat Kaspar Hauser auf Nürnbergs Unschlittplatz »in die Welt«, wie es in Chroniken heißt. Der angeblich in einem Verließ bei Wasser und Brot aufgewachsene, ungelenk wankende und verwirrt wirkende Jüngling landete zunächst im städtischen Gefängnis. Das Rätsel um seine Herkunft öffnete ihm aber rasch die Türen zu den bürgerlichen Kreisen der Stadt. Denn die aufkommende Behauptung, Hauser sei ein verstoßener badischer Erbprinz, beflügelte die Fantasie der Nürnberger Salons - und bald auch die Europas. Erst ein Erbgutvergleich im Jahr 1996 sorgte für eine Entzauberung der Erbprinzen-Theorie und bestärkte damit jene, die in Hauser schon immer einen Hochstapler sahen.

Ende 1831 zog Hauser nach Ansbach, wo er die Stelle eines Gerichtsschreibers annahm. Er starb am 7. Dezember 1833 - wenige Tage nach einer angeblichen Messerattacke im Ansbacher Hofgarten. Auch das bezweifeln manche Hauser-Experten. Sie glauben eher, dass sich Hauser selbst ein Taschenmesser in die Brust gestoßen hatte, um das öffentliche Interesse an seiner Person wachzuhalten. Ein Täter wurde nie gefunden. dpa/nd

In einem jetzt im Eigenverlag erschienen Buch reiht Heindl Fakten an Fakten, die nach seiner Überzeugung am Ende eine schlüssige Indizienkette bilden. Und danach, so Heindls vorsichtige Formulierung, »drängt sich die Vermutung auf«: Kaspar Hauser, den man lange Zeit für einen verstoßenen und eingekerkerten badischen Erbprinzen gehalten hatte, könnte der uneheliche Sohn des Pfarrers Joseph Hausner (1778-1833) und einer Adeligen oder einer Köchin aus der Region Passau gewesen sein - eine Affäre, die vor den Augen der Öffentlichkeit unbedingt verborgen bleiben musste. Vieles spricht daher aus Heindls Sicht dafür, dass der in keinem Taufbuch der Region verzeichnete Pfarrerspross bei dem kinderlos geblieben Schneider Josef Hausner in Weideneck (heute Tiefenbach) bei Passau aufgezogen wurde. Der Verwandte des Pfarrers habe sich des angeblichen Waisen angenommen, weil dieser in Kaspar einen späteren Nachfolger für seinen Betrieb sah, glaubt Heindl. Nach dem Tod des Schneiders kam es dann doch ganz anders: Statt die Schneiderei zu übernehmen, wurde der leicht geistig behinderte Hauser in einem Arbeitshaus in der Veste Niederhaus bei Passau untergebracht - und später nach Nürnberg gebracht.

Historische Belege hat Heindl dafür freilich nicht, dafür aber Kaspar Hausers eigene Beschreibung vom Ende seines Kerkeraufenthalts. Ein Unbekannter, so Kaspar Hauser, habe ihn seinerzeit aus seinem Verließ geholt und unmittelbar danach einen »langen hohen Berg hinaufgetragen«. Diese Beschreibung passe ebenso zur Veste Niederhaus am Zusammenfluss von Ilz und Donau wie Kaspars Hinweis auf das darüber thronende Schloss, bei dem es sich nach Heindls Vermutung um die benachbarte Veste Oberhaus handeln dürfte. Dafür, dass Hauser aus Niederbayern stammt, gibt es nach Einschätzung des Eggenfelder Heimatforschers aber auch noch andere Indizien. Dafür spreche beispielsweise sein altbayerischer Dialekt - oder der von Hauser 1828 in Nürnberg mitgeführte »Mädgleinsbrief«, der als Ortsangabe den Hinweis »Von der Baierischen Gränz« enthält.

Die Vermutung mancher Historiker, der Name »Kaspar Hauser« sei frei erfunden, hält Heindl durch die Faktenlage widerlegt. Schließlich hätten die Verfasser des »Mädgleinbriefs« lediglich den Vornamen des auf dem Nürnberger Unschlittplatz entdeckten Jünglings genannt, seinen Nachnamen aber verschwiegen. Dass der Nachname schließlich doch bekannt wurde, liege daran, dass Kaspar sich in Vernehmungen mit der Nennung seines tatsächlichen Nachnamens verplappert habe.

Fast 3000 Stunden hat Heindl in Sachen Kaspar Hauser recherchiert und dabei Tausende »klitzekleiner Mosaiksteinchen« zu einem Gesamtbild zusammengefügt. Als Quellen dienten ihm neben dem Historischen Atlas von Bayern, der Beschreibung einstiger bayerischer Besitz-, Herrschafts- und Verwaltungsstrukturen, vor allem die im Internet verfügbaren Matrikelbücher des Bistums Passau. »2000 Personendaten aus dem Raum Passau habe ich dabei untersucht«, berichtet Heindl.

Kaspar-Hauser-Experten äußern sich derweil zurückhaltend. Der Kurator für Badische Landesgeschichte in Karlsruhe, Oliver Sänger, hält Heindls Einschätzung dennoch nicht für völlig abwegig. »Dass Hauser aus Ostbayern stammt, ist durchaus möglich, wie auch einiges auf Tirol hindeutet«, betont er. Sänger geht davon, dass Hauser der uneheliche Sohn eines Besatzungssoldaten aus Tirol war. »Die Theorie von Herrn Heindl klingt spannend«, meint auch der Leiter des Markgrafenmuseums Ansbach, Wolfgang Reddig. Allerdings: Seine Museumsbibliothek enthält bereits eine große Sammlung von Schriften, die alle vorgeben, das Hauser-Rätsel gelöst zu haben. dpa/nd

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