Rettung für Katze, Hund und Pferd

Die Organisation Animal Heroes kümmert sich um Tiere in Katastrophen- und Kriegsgebieten

  • Sarah Tekath, Amsterdam
  • Lesedauer: 8 Min.
Im Kriegs- oder Katastrophenfall werden auch Tiere traumatisiert, verletzt, verlassen. Freiwillige Helfer kümmern sich um sie, so gut es geht.
Im Kriegs- oder Katastrophenfall werden auch Tiere traumatisiert, verletzt, verlassen. Freiwillige Helfer kümmern sich um sie, so gut es geht.

Aisha mag keine Besucher*innen. Kaum hat sie die Klingel gehört, ist ihr Gebell durch das offene Fenster im zweiten Stock in der gesamten Nachbarschaft zu hören. Esther Kef muss den kleinen Mischlingshund, den sie liebevoll ihren »Terrordackel« nennt, erst in eine Transportbox sperren, bevor ich die Wohnung in Amsterdam betreten kann. Aisha, mit 14 Jahren eine sehr betagte Hündin, hat Schlimmes durchgemacht. Sie wurde in Italien vom Tierschutz aus einem Haushalt gerettet, in dem sie mehrere Jahre schwer misshandelt worden war. Seitdem fürchtet sie sich vor Menschen.

Solche Geschichten von Tierleid sind für Kef Alltag geworden. Ende 2022 gründete die 46-Jährige die Tierrettungsorganisation Animal Heroes. Wenige Wochen später gab es ein verheerendes Erdbeben in der Türkei und Syrien. »Wir waren noch gar nicht bereit«, erinnert sich Kef. »Aber Krisen warten natürlich nicht darauf, dass man fertig ist.«

Trotzdem trommelt sie über Nacht acht Mitstreiter*innen zusammen und fliegt mit ihnen auf eigene Kosten in die Türkei. Dort finden sie sich im Chaos völlig zerstörter Städte wieder. »Von den Einsatzkräften wusste ich, dass in einer der oberen Wohnungen noch eine Katze eingeschlossen war. Das Gebäude war stark einsturzgefährdet und die Rettungsleute kamen nicht an sie heran. Doch bevor wir das Tier befreien konnten, gab es ein Nachbeben, und wir mussten sie schweren Herzens ihrem Schicksal überlassen.«

Seitdem sind Einsätze in Gaza und der Ukraine, aber auch bei Naturkatastrophen in Griechenland und Italien hinzugekommen. Dabei arbeitet Animal Heroes immer mit bereits bestehenden Organisationen vor Ort oder mit lokalen Tierheld*innen zusammen. So werden, abgeleitet vom Namen der Organisation, freiwillige Helfer*innen in der Region genannt. Gemeinsam befreien sie Tiere aus zerstörten Gebäuden, evakuieren sie und bieten medizinische Versorgung. Kef organisiert mit ihrem Team Futter- und Medikamentenlieferungen und sorgt für eine mögliche Überführung der Tiere in sichere Gebiete, damit sie später adoptiert werden können.

Regierungen und internationale Organisationen fokussieren sich in Kriegs- und Krisengebieten auf Rettung und Schutz der dort lebenden Menschen. Tiere werden ihrem Schicksal überlassen, es sei denn, Privatpersonen greifen ein. Ikonisch ist in diesem Zusammenhang ein Video eines ukrainischen Zoowärters, der im russischen Angriffskrieg mehrere Kängurus in seinem Mini-Van evakuierte und die Aufnahme in den sozialen Medien teilte.

Das Mitgefühl mit den hilflosen Wesen, die einer derart beängstigenden und gefährlichen Situation ausgeliefert sind, scheint die Helfer*innen weltweit zu vereinen. Bei lokalen Tierschützer*innen in Konflikten erkennt Kef eine echte Verbundenheit durch die gemeinsame Mission über Grenzen hinweg. »Bei einem Einsatz im Westjordanland im Herbst 2023 haben sich Menschen aus Israel und Palästina gemeinsam um die Tiere gekümmert«, sagt sie.

Schon in ihrer Kindheit in der Stadt Zaandam nahe Amsterdam hat Esther Kef sich um verletzte Tiere gekümmert, diese aufgenommen und gepflegt, Spenden für die Behandlungskosten gesammelt. Ihr erstes Pflegetier ist eine verletzte Ente, die sie findet und mit nach Hause nimmt. »Ich habe sie aufgepäppelt. Danach lief sie frei im Haus herum und hat überall hingemacht. Meine Mutter war davon gar nicht begeistert«, lacht sie. »Ich hatte tatsächlich so etwas wie meine eigene Organisation, aber sie wurde nie offiziell registriert.«

Zum Beruf macht Kef ihre Leidenschaft nicht. Sie zieht nach England und studiert European Business Administration. »Mein Vater hatte sein eigenes Computer-Unternehmen gegründet, und das fand ich sehr beeindruckend. Ich wollte auch eine eigene Firma haben«, sagt sie. Sie arbeitet in den Bereichen Pharma, Marketing und IT und lernt in dieser Zeit ihre Frau kennen, eine italienische Pilotin.

Die beiden ziehen gemeinsam in die Dolomiten und starten ein Unternehmen, das Coaching für Menschen anbietet, die sich als Pilot*innen bei Airlines bewerben und für das anspruchsvolle Auswahlverfahren gut vorbereitet sein wollen.

2019 gehen die beiden auf Weltreise. Beim Schwimmen mit Delfinen erinnert sich Esther Kef wieder an ihre Tierliebe, die in den vergangenen Jahren ein bisschen in Vergessenheit geraten ist. Wieder zurück in Europa fängt sie an, für eine niederländische Tierschutzorganisation zu arbeiten. Als Russland 2022 den Angriff auf die Ukraine startet, ist sie vor Ort und völlig ergriffen von dem Einsatz der Menschen für bedürftige Tiere. »Menschen, die selbst nichts mehr hatten, haben sich um die Tiere gekümmert. Anstatt sich selbst in Sicherheit zu bringen, sind sie geblieben. Ich habe sogar eine Frau gesehen, die ein Pferd in ihr Wohnzimmer mitgenommen hat, zum Schutz vor den Bombeneinschlägen.«

Sie habe sich mit diesen Menschen sofort verbunden gefühlt und wollte sie in ihrer guten und wichtigen Arbeit unterstützen. So entstand die Idee für Animal Heroes. Mittlerweile gehören knapp 20 Personen aus verschiedenen Ländern zum Team, alle auf freiwilliger Basis. Sie eint die Liebe zu Tieren. Kef zahlt sich selbst kein Gehalt aus. Das Coaching-Business und das Gehalt ihrer Frau garantieren dem Paar ein gesichertes Einkommen. Außerdem besitzt sie eine Eigentumswohnung in Amsterdam, deren Vermietung Geld abwirft.

Animal Heroes finanziert sich über Spenden, meist von Privatpersonen. 2023 kamen dabei rund 25 000, im Jahr 2024 dank starker Medienpräsenz und Öffentlichkeitsarbeit 110 000 Euro zusammen. In den vergangenen Monaten hat die Organisation 20 000 Euro Spenden für ein neues Röntgengerät für eine niederländische Tierarzthelferin in Ägypten gesammelt, mit dem täglich 100 verletzte Pferde und Esel untersucht werden.

In Spanien leistete die Organisation nach einer zweiten schweren Überschwemmung in einem Tierheim in Malaga Soforthilfe. In Uganda ist sie Teil eines Impf- und Sterilisationsprogramms für streunende Tiere.

Freiwillige von Animal Heroes sind international aktiv und bauen eigene Pop-Up-Tierkliniken auf.
Freiwillige von Animal Heroes sind international aktiv und bauen eigene Pop-Up-Tierkliniken auf.

Maryam Barq ist eine der internationalen Mitstreiter*innen. Die 37-Jährige wird auch »Gaza Cat Lady« genannt. Trotz der Bombardements durch die israelische Armee in dem Küstenstreifen entschieden sie und ihre Familie sich zu bleiben, um sich um mehr als 60 Katzen zu kümmern. Sie liest die Tiere, die vermutlich von ihren Besitzer*innen zurückgelassen wurden, von der Straße auf und nimmt sie mit nach Hause. »Sie sind für mich wie meine Kinder«, erzählt sie Kef in einem Videotelefonat im Herbst 2024. »Im vergangenen Jahr haben wir uns allein von Brot und Bohnen ernährt, damit wir genug Geld haben für Katzenfutter«, erzählt Barq.

Um dieses zu beschaffen, riskiert die Palästinenserin regelmäßig ihr Leben. Animal Heroes versucht während der gesamten Zeit, sie mit Zusendungen von Tiernahrung zu unterstützen, doch oft werden die Lieferungen an der ägyptisch-israelischen Grenze nicht durchgelassen. Auch während der Luftangriffe versucht Barq, die Tiere zu beschützen. »Bei den Einschlägen sind die Katzen in totaler Panik und rennen wie verrückt in alle Richtungen. Ich mache die Fenster dicht, damit sie nicht von Granatsplittern getroffen werden oder sich bei panischen Fluchtversuchen verletzen. Ich versuche mein Bestes, ihnen gut zuzureden, aber ich fürchte, sie bemerken es gar nicht. Sie haben genau so viel Angst wie wir.«

Auch als die israelische Regierung anordnet, dass alle Bürger*innen Gazas aus dem Norden in den Süden fliehen sollen, widersetzt sich Barq. Ihre Begründung: »Ich kann meine Katzen nicht zurücklassen, sie brauchen mich. Mir ist bewusst, dass ich hier im Norden sterben könnte. Aber bei Kriegsbeginn habe ich entschieden, dass wir entweder zusammen leben oder zusammen sterben.«

Vor wenigen Tagen, so die aktuellen Informationen von Animal Heroes, wurde der Gebäudeblock in Gaza, in dem Maryam Barq bis dato mit ihren Katzen lebte, heftig bombardiert. Ohne jede Vorwarnung, sagt sie. Ihr Nachbar wurde getötet, zahlreiche Familienmitglieder wurden durch Bombensplitter verletzt. Sie und ihre Familie flüchteten aus dem Haus, mit sechs Katzen. »Eines der Tiere trägt eine Metallplatte im Bein und ist frisch operiert«, erklärt Esther Kef.

»In der Ukraine habe ich sogar eine Frau gesehen, die ein Pferd in ihr Wohnzimmer mitgenommen hat, zum Schutz vor den Bombeneinschlägen.«

Esther Kef

Derzeit hält sich Barq in Nord-Gaza auf, ohne Möglichkeit zurückzukehren und die übrigen Tiere zu retten. »Wer es versucht, wird sofort erschossen«, hat sie nach Angaben von Animal Heroes gesagt. Die Katzen, die sie nicht mitnehmen konnte, sind seit acht Tagen ohne Verpflegung. Ob ihr Haus noch steht, weiß sie nicht. Bis zu ihrer Flucht konnte Barq noch Geldspenden von Animal Heroes via Pay Pal in Empfang nehmen, auch wenn jeder Gang zur Bank oder Wechselstube ein erhebliches Risiko darstellte.

In Gaza betreibt Animal Heroes zurzeit als einzige Organisation aus ganz Europa eine Pop-up-Klinik für Pferde, Esel, Hunde und Katzen. Eines der bisher größten Projekte der Organisation aber ist eine Notfallklinik für Tiere in Dschenin im Westjordanland, in der Streuner und Haustiere von mittellosen Menschen kostenlos medizinisch versorgt werden. Der Tierarzt von Animal Heroes hat dort seit Eröffnung der Einrichtung im März mehr als 100 verletzte Tiere behandelt, von Hunden und Katzen über Vögel, Schafe, Esel und Pferde bis hin zu einer Schildkröte.

»Dank unserer Spenderinnen und Spender können wir weiterhin helfen – dort, wo sonst niemand hingeht«, erklärt Kef. Der Standort in Dschenin sei eine große Hilfe, denn durch die anhaltenden Gefechte und die Zerstörung seien sehr viele »bedürftige Tiere unerreichbar« gewesen. »Transporte waren kaum noch möglich und wurden immer gefährlicher.« Durch israelisches Militär in der Region sowie Ausgangssperren sei es zurzeit sehr schwer für die freiwilligen Helfer*innen von Animal Heroes, zu den Tieren zu gelangen, erklärt Kef. Derzeit werden Spenden gesammelt, um auch diese Klinik mit einem Röntgengerät auszustatten.

Neben all den Projekten weltweit gibt es auch im Privaten bei Animal Heroes Neuigkeiten. Aisha, die kleine Hündin von Esther Kef, macht derzeit eine Ausbildung zur Trüffelsucherin – und das offenbar sehr erfolgreich. Es ist also auch für Hunde nie zu spät, etwas Neues anzufangen.

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