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Brosius, quo vadis?

In der Causa Brosius-Gersdorf schieben sich die Parteien im Bundestag gegenseitig die Verantwortung zu

Ob die Juraprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf Verfassungsrichterin wird, bleibt offen.
Ob die Juraprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf Verfassungsrichterin wird, bleibt offen.

Das Chaos um die verhinderte Wahl der Jura-Professorin Frauke Brosius-Gersdorf ins Bundesverfassungsgericht nimmt kein Ende. In der ZDF-Talkshow »Markus Lanz« legte Brosius-Gersdorf am Dienstagabend in einem einstündigen Interview ihre Positionen dar und wehrte sich gegen Unwahrheiten und Diffamierungen von rechts. So sei sie weder »ultralinks«, noch verlange sie das Recht auf Abtreibungen bis kurz vor der Geburt. Die Professorin erklärte, sie wolle sich der Kampagne gegen sich zwar nicht beugen, könne einen Rückzug ihrer Kandidatur jedoch auch nicht ausschließen, sollte der Streit um sie dem Gericht schaden.

Unterstützung erhielt Brosius-Gersdorf auch aus ihrem Feld. Rund 300 Rechtswissenschaftler*innen, darunter auch Ex-Verfassungsrichter, attestierten ihr in einem offenen Brief im Rechtsmagazin »Legal Tribune Online« eine hohe fachliche Qualifikation und übten scharfe Kritik: »Im Richterwahlausschuss eine Kandidatin zunächst zu bestätigen, um dann gegenüber ideologisierten Lobbygruppen und mit Unwahrheiten und Diffamierungen gespickten Kampagnen zurückzurudern, zeugt zumindest von fehlendem politischen Rückgrat und mangelnder interner Vorbereitung.«

Die SPD stärkt ihre Kandidatin ebenfalls, so erklärt SPD-Fraktionschef Matthias Miersch: »Wir halten an unseren Kandidatinnen fest. Ich erwarte, dass die Mehrheit steht.« Der Unmut über die Absage am Freitag war groß.

Während die SPD weiter loyal hinter der Rechtswissenschaftlerin steht, geht die Union auf Konfrontation. So gibt sich die CDU-Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann unbeeindruckt vom Auftritt Brosius-Gersdorfs im Fernsehen: »Eine solche Frage wird am Ende weder in Talkshows noch in den Medien entschieden, sondern es ist eine Frage, die im Gespräch zwischen den Koalitionsfraktionen zwischen SPD, CDU und CSU entschieden werden muss«, so Connemann. Die Personalfrage sei in diesem Fall zu stark emotionalisiert.

Auch Bundesforschungsministerin Dorothee Bär (CSU) positioniert sich gegen Brosius-Gerdsdorf. So erklärte sie in der ARD-Talkshow »Maischberger«, sie respektiere es, wenn mündige Abgeordnete es nicht über ihr Gewissen brächten, Brosius-Gersdorf zu wählen. Stattdessen erwarte sie von der Kandidatin, sich zu überlegen, ob sie die Richtige sei. Dabei verteidigt Bär die Kritik als legitim – man tue Frauen keinen Gefallen, wenn man sich nicht mit ihren Inhalten auseinandersetzen dürfe, »und dass man auch kritikfähig sein muss, erwarte ich auch von jemandem, der sich ins höchste deutsche Gericht wählen lassen möchte«, fügte sie hinzu.

Die Grünen unterstützen die Kandidatin der SPD weiterhin und hoffen auf die Beibehaltung der Kandidatur durch Brosius-Gersdorf. So erklärte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann am Mittwoch im ARD-»Morgenmagazin«: »Ich wünsche mir, dass sie bei ihrer Kandidatur bleibt, und ich wünsche mir vor allen Dingen, dass die CDU/CSU sich nicht von der AfD so treiben lässt.« Ziel der AfD sei die »Zerstörung der CDU/CSU«. Die Grünen fordern eine Sondersitzung des Bundestags zur Wahl der drei Verfassungsrichter*innen noch in dieser Woche, da nicht erst auf das Ende der bereits begonnenen parlamentarischen Sommerpause bis zum September gewartet werden dürfe.

Ines Schwerdtner, Parteichefin der Linken, lehnt dies im ARD-»Morgenmagazin« wiederum ab: »Ich bin strikt gegen eine Sondersitzung, bis nicht alle Fakten auf dem Tisch liegen und auch geklärt sind.« Wenn sich die Regierung nicht zusammenraufe, werde man dasselbe Theater einfach wieder aufführen, nur dass die Einberufung des Bundestages in der Sommerpause 200 000 Euro koste.

»Ich erwarte, dass die Mehrheit steht.«

Matthias Miersch Fraktionsvorsitzender der SPD

Mit der CDU ging Schwerdtner hart ins Gericht, so sei es ein Armutszeugnis der Union, dass weite Teile ihrer Fraktion nicht willens zu einer Mehrheit gewesen seien und lieber mit der AfD stimmten. »Ich warne wirklich davor, dass 2029 eine schwarz-blaue Koalition vorbereitet werden soll, indem man sich eben nach rechts öffnet.« Ob Die Linke Brosius-Gersdorf weiterhin unterstützen werde, ließ Schwertdner offen: »Wir werden sie vermutlich weiter unterstützen, aber wir schauen uns das Gesamtpaket dann an.« Der Ball liege bei der Regierung, nicht bei der Kandidatin selbst.

Der Fraktionsvorsitzende der Union, Jens Spahn (CDU) hat derweil in einem Schreiben an die Unions-Fraktion eine Mitverantwortung für die gescheiterte Richterwahl eingeräumt. »Der letzte Freitag war für die Koalition ein schwerer Tag. Da gibt es nichts schönzureden.« Er habe »die Dimension der grundlegenden und inhaltlich fundierten Bedenken gegen eine der Kandidatinnen unterschätzt«, sei jedoch davon überzeugt, dass die Union mit der SPD eine Lösung finden werde.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat indes angekündigt, dass er das weitere Vorgehen in den kommenden Wochen innerhalb der schwarz-roten Koalition besprechen will. Ob er in der Lage sein wird, die Abweichler in den eigenen Reihen zur Disziplin zu ermutigen, oder ob die SPD Brosius-Gersdorf fallen lassen wird, bleibt offen. Mit Agenturen

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