- Politik
- Iran
Kein Platz für den »Afghani«
Die Islamische Republik Iran wirft kurzerhand Zehntausende afghanischer Geflüchteter aus dem Land, die dort seit langer Zeit leben
»Ich weiß nicht, wann ich mich wieder melden kann. Vielleicht war es nicht klug, hierherzukommen. Afghanistan wäre sicherer gewesen«, sagt Sayyed Ahmad*, Mitte Dreißig, während eines Whatsapp-Telefonats. Tagelang funktionierte seine Internetverbindung nicht. Dann half ein Nachbar mit Elon Musks Starlink aus. Mittlerweile wurde dessen Benutzung vom Regime in Teheran verboten. »Wer Starlink benutzt, wird verhaftet und vielleicht sogar hingerichtet«, sagt Ahmad aufgeregt.
Vor rund einem Jahr flüchtete der Afghane aus Kabul nach Teheran. Er knüpfte Kontakte zu Freunden, mit denen er einst studiert hatte und hoffte, dass er im Iran einer Tätigkeit für die Vereinten Nationen oder die Internationale Organisation für Migration (IOM) nachgehen könne. »Hier leben viele geflüchtete Afghanen und es hieß, dass man fähiges Personal brauchen würde«, so Ahmad. Letzten Endes wurde nichts daraus. Als Israel im Juni anfing, den Iran zu bombardieren, fand sich Ahmad, wie alle über vier Millionen afghanischen Geflüchteten, die laut Schätzungen des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) im Iran leben, in einem neuen Krieg wieder.
Seit Jahrzehnten fliehen Afghanen in den Iran
Seit Jahrzehnten ist der Iran, der an den Westen Afghanistans grenzt, eine der größten Anlaufstellen für Afghanen. Erste größere Fluchtwellen fanden bereits während der frühen 80er Jahre statt. Kurz zuvor vollzogen sich in den beiden Ländern geschichtsträchtige Revolutionen: In Teheran kamen die Islamisten um Ajatollah Ruhollah Khomeini an die Macht, während in Kabul marxistische Kräfte mithilfe der Sowjetunion die junge afghanische Republik stürzten. Die darauffolgende sowjetische Besatzung des Landes sowie der Stellvertreterkrieg zwischen Ost und West trieben Hunderttausende von Afghanen in den Iran. Zeitgleich unterstützte das iranische Mullah-Regime schiitische Mudschaheddin-Milizen im Kampf gegen die Rote Armee mit Waffen und Geld.
In erster Linie assoziieren viele Afghanen den Iran allerdings mit Ausbeutung und Rassismus. Denn während weitere Kriege Afghanistan plagten, wuchsen iranische Großstädte wie Maschad, Schiraz oder Teheran auf den Rücken afghanischer Arbeiter, die dort bis heute für Hungerlöhne schuften, während sie sowohl vom Regime als auch von großen Teilen der Gesellschaft angefeindet werden. »Afghani« gilt im Iran als Schimpfwort.
Afghanen erleben im Iran Ausbeutung und Rassismus
In 16 der 31 iranischen Provinzen dürfen Menschen afghanischer Herkunft offiziell überhaupt nicht residieren, in 12 ist der Zuzug eingeschränkt; nur in 3, darunter die Hauptstadt Teheran, soll die Wohnsitznahme uneingeschränkt erlaubt sein. Mobilität und Infrastruktur werden für Afghanen massiv reguliert und kontrolliert. Dies betrifft sowohl öffentliche Verkehrsmittel als auch den Arbeitsmarkt. Geflüchteten ohne Aufenthaltsdokumente, die die große Mehrzahl darstellen, wird der Zugang zu Schulen und anderen Bildungsinstitutionen verwehrt.
Vom Regime wurden die bestehenden Verbote in den letzten Jahren sogar auf brutale Art und Weise missbraucht. Als der Krieg in Syrien begann, rekrutierte die Regierung in Teheran Tausende afghanischer Geflüchteter, hauptsächlich Angehörige der schiitischen Hazara-Minderheit, für die sogenannte Fatemijun-Brigade, um die Diktatur des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad zu verteidigen. Den Familien der Söldner, unter denen sich auch Minderjährige befanden, wurden iranische Aufenthaltsdokumente sowie der Zugang zu Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten versprochen.
Teheran macht Geflüchtete zu Sündenböcken
Schon kurz nach Beginn der israelischen Angriffe auf den Iran schien es, als ob das Mullah-Regime für das eigene Versagen den perfekten Sündenbock gefunden hatte. Wieder einmal mussten afghanische Geflüchtete herhalten. Einst galten sie als »Diebe«, »Vergewaltiger« oder »Terroristen«. Nun sind sie »Spione« oder »Kollaborateure« des israelischen Auslandgeheimdienstes Mossads. Sie sollen den Israelis Koordinaten geliefert oder für sie Drohnen gebaut haben.
Noch während des Krieges wurden zahlreiche afghanische Männer verhaftet und im Staatsfernsehen vorgeführt. Ihre Bilder verbreiteten sich in den sozialen Medien, auf Instagram oder auf Tiktok. »Wir bekamen es mit der Angst zu tun und wussten, dass wir nun auch hier nicht mehr sicher seien«, sagt Akhtar Mohammad*, der nach der Rückkehr der militant-islamistischen Taliban in Kabul mit seiner Familie in den Iran flüchtete. »Ein zweites Taliban-Regime wollte ich nicht mitmachen. Ich wollte das meinen Töchtern nicht antun«, so Mohammad.
Die Gewalt zwingt Menschen zu einer Rückkehr nach Afghanistan
In den vergangenen Tagen wurden weitere Fabriken und Häuser, in denen sich afghanische Geflüchtete aufhalten sollen, von der iranischen Polizei gestürmt. Willkürliche Verhaftungen, Folter und Hinrichtungen gehören zum Alltag. Der Hass auf Menschen afghanischer Herkunft spiegelt sich auch in der Gesellschaft wider. »Schafft sie alle raus«, kommentieren zahlreiche User auf Instagram auf Persisch, etwa unter Videos, die zeigen, wie afghanische Jugendliche von einem Mob beschimpft und verprügelt werden.
Akhtar Mohammad und zahlreiche andere Afghanen sehen sich deshalb gezwungen, nach Afghanistan zurückzukehren. Wer nicht freiwillig geht, wird verhaftet und mit Gewalt deportiert. Allein im Juni wurden mehr als 256 000 Geflüchtete abgeschoben. Insgesamt haben mittlerweile über 700 000 Afghanen das Land verlassen. Kurz nach dem Ende des iranisch-israelischen Krieges mussten rund 30 000 Menschen den Iran an einem einzigen Tag verlassen. Weitere Massenabschiebungen sind in vollem Gange.
»Afghanistan kann das nicht alleine stemmen«, heißt es hierzu seitens der IOM. Eine internationale Reaktion auf das Flüchtlingschaos sei notwendig. Seit der Rückkehr der Taliban sind zahlreiche internationale Hilfsorganisationen aus Afghanistan abgezogen. An den Grenzen zum Iran herrschen weiterhin dystopische Zustände. Mehreren Berichten zufolge werden die Menschen mit Bussen zurückgebracht – hungrig, durstig und ohne Geld.
*Namen aus Sicherheitsgründen geändert
Wir haben einen Preis. Aber keinen Gewinn.
Die »nd.Genossenschaft« gehört den Menschen, die sie ermöglichen: unseren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die mit ihrem Beitrag linken Journalismus für alle sichern: ohne Gewinnmaximierung, Medienkonzern oder Tech-Milliardär.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen sichtbar machen, die sonst untergehen
→ Stimmen Gehör verschaffen, die oft überhört werden
→ Desinformation Fakten entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und vertiefen
Jetzt »Freiwillig zahlen« und die Finanzierung unserer solidarischen Zeitung unterstützen. Damit nd.bleibt.