Unsichere Aussichten

120 Flüchtlinge aus der Notunterkunft im Fanhaus des 1. FC Union in Köpenick müssen ausziehen - bisher gibt es kein alternatives Heim

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit Monaten ist bekannt, dass das Heim im Union-Fanhaus Ende April schließt. Erst jetzt kümmert sich das LAGeSo um Ersatz - das seit Monaten Inbegriff des Berliner Verwaltungschaos in Sachen Flüchtlinge ist.

»LAGeSo.« Damit ist für Amnah Mobark eigentlich alles gesagt. Sie ist eine von rund 120 Geflüchteten, die in einem ehemaligen Supermarkt hinter einer Tankstelle in der Lindenstraße in Treptow-Köpenick wohnen. Die Halle dient als Notunterkunft, Betreiber ist der Internationale Bund. Eigentlich sollte das Gebäude längst zum Fanhaus des 1. FC Union umgebaut worden sein, doch der hatte sich im vergangenen Herbst spontan entschieden, Flüchtlinge über den Winter aufzunehmen. Vereinbart war, dass die Menschen bis Ende April ausziehen. Dabei soll es auch bleiben. Unklar ist allerdings noch, wo sie künftig wohnen sollen. Hier kommt das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) ins Spiel, seit Monaten Inbegriff des Berliner Verwaltungschaos in Sachen Flüchtlinge.

»Von Anfang an haben wir dem LAGeSo kommuniziert, dass wir die Notunterkunft nur bis Ende April zur Verfügung haben«, sagt Peter Hermanns, Bereichsleiter des IB Nordost. Seit Februar bemüht sich der IB nun, die Menschen in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen. »Wenn frühzeitig reagiert worden wäre, hätte das auch geklappt.« Allein 30 Plätze hält der IB selbst in einer im Bezirk gelegenen Gemeinschaftsunterkunft zur Verfügung.

Bisher hat das LAGeSo den Umzug dorthin allerdings nicht genehmigt. Grund sind unterschiedliche Auslegungen der Gesetzeslage, erklärt Kai Wiemer, Heimleiter in der Lindenstraße. Laut Asylbewerberleistungsgesetz müssen Flüchtlinge im Asylverfahren »bis zu sechs Wochen, längstens jedoch bis zu sechs Monaten« in der Aufnahmeeinrichtung bleiben. Für Wiemer und Hermanns sind die beiden Wörter »bis zu« entscheidend. Das LAGeSo argumentiert jedoch, niemandem eine Wohnung oder einen Platz in einer Gemeinschaftsunterkunft zugestehen zu müssen, der noch keine sechs Monate in Berlin lebt. Tatsächlich sind die Plätze in Gemeinschaftsunterkünften rar. Wohnungen sind umso schwieriger zu finden. Die sind jedoch günstiger für den Staat, weshalb es erst recht verwundert, wenn das LAGeSo Mietverträge ablehnt, die die Flüchtlinge der Behörde vorlegen. Das sei in mehreren Fällen geschehen, so Hermanns. Ein Bewohner sei mit einem großen gemalten Fragezeichen auf einem Mietvertrag aus dem LAGeSo zurückgekehrt.

»Im LAGeSo gibt es durchaus engagierte Mitarbeiter«, gesteht Hermanns der Behörde zu. »Aber die unterschiedlichen Abteilungen reden zu wenig miteinander.« Das Kommunikationsproblem habe schon dazu geführt, dass eine Mitarbeiterin des Amtes in der Unterkunft angerufen und behauptet habe, ein Bewohner lüge sie an: Er behaupte doch glatt, das Heim schließe zu Ende April, um eine bessere Unterkunft zu erhalten. Was richtig ist: Auf bessere Unterkünfte hoffen die meisten Bewohner der Notunterkunft. Hier wohnen sie dicht gedrängt auf kleinem Raum. Auch wenn die Trennwände aus Holzplatten sind statt aus Stoffbahnen wie in anderen Notunterkünften, die Séparées von außen nicht einzusehen sind, der IB auf Doppelstockbetten verzichtet und in jedem Séparée Steckdosen verlegt hat, »ist das hier noch immer eine Halle, hier findet man nicht zur Ruhe«, sagt Hermanns. Amnah Mobark berichtet von streitenden Kindern. Ein Mitbewohner, Mohmoud Al Maaz, wünscht sich mehr Privatsphäre und mehr Sauberkeit. Kefah Shoker, der mit Al Maaz zusammen aus Syrien nach Deutschland geflohen ist, beklagt sich über ständige Geräusche, die das Schlafen erschweren. Er hofft, bald seine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten, um dann endlich Deutsch lernen und arbeiten zu dürfen.

»Die Menschen brauchen ein Mindestmaß an Privatsphäre. Nur das befähigt sie, sich eine Bleibeperspektive aufzubauen«, sagt Hermanns. Die Praxis sieht anders aus. Am Dienstag erhielt er eine Mitteilung des LAGeSo, dass die Flüchtlinge ab heute in andere Notunterkünfte umgesiedelt werden sollen. Hermanns hofft noch immer auf eine bessere Lösung.

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