Das Ende des Formelkompromisses

Frank Puskarev zur Debatte über die Strategie der Linkspartei

  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist wieder soweit. Jährlich kommen wir zusammen, diskutieren die Entwicklung der Partei und stellen - Stillstand fest. Der Drive der Gründungstage ist lange verflogen, in den meisten Bundesländern stagniert die Entwicklung der Partei, 20.000 Mitglieder weniger als 2009. Nicht nur die Präsenz unser Genoss*innen in Willkommensbündnissen zehrt zunehmend an der Schlagkraft. Inhaltlich bewegt sich bei uns seit langem: nichts. Nach vorne gerichteten Debatten gehen wir ob des innerparteilichen Friedens - oder weil mal wieder gerade Wahlen anstehen - aus dem Weg, allenfalls Formelkompromisse schaffen es in die Annalen der Parteigeschichte. Stattdessen simulieren wir Aktivität, notbeatmen seit Monate eine Kampagne, von der niemand wirklich Notiz nimmt. Bisher fehlt uns die Kraft und/ oder die Bereitschaft, umzusteuern oder wenigstens darüber nachzudenken, was gerade sinnvoll und machbar ist.

Seit 2009 haben wir abgesehen von Thüringen und lokalen Ereignissen, und das dann eher trotz des Bundestrends, nicht viel vorwärts gebracht. Bislang konnte dies durch die Schwäche politischer Mitbewerber zumindest bei Wahlen kaschiert werden, diese Zeiten scheinen vorbei. Unseren WählerInnen bleibt nicht verborgen, dass unsere Programmatik seit 2007 statisch verharrt, dass wir keine Antworten auf drängende Zukunftsfragen geben können - oder wollen. Sei es die Entwicklung der Europäischen Union, die mehr als je zuvor Mitgestaltung erfordert und ermöglicht. Sei es die digitale Entwicklung, die sämtliche Lebensbereiche und die komplette Arbeitswelt in wenigen Jahren umkrempeln wird. Seien es politische Entwicklungen unserer Partner-Parteien, die wir bestenfalls beobachten, es aber kaum noch Austausch, geschweige denn gegenseitige Befruchtung gibt. Es ist diese Nichtbefassung und Nichteinmischung, die unseren sozialen Markenkern aufweicht.

All dass macht Handeln dringend notwendig. Die Partei und der Parteivorstand können und dürfen nicht weiter im politischen Winterschlaf verharren, wir müssen raus, mit den Menschen Politik entwickeln. Eine Plattform bilden, auf der sich Menschen zusammenfinden, um gemeinsam eine solidarische Vision des Zusammenlebens zu erarbeiten. Anlässe wie Beispiele gibt es genügend. Gerade hat die Europäische Kommission eine EU-weite Konsultation zur Einrichtung einer Säule sozialer Rechte gestartet. Diese läuft bis zum Ende des Jahres. Warum also nicht dies aufgreifen, und mit den Menschen in Kreisverbänden, in Bürgerversammlungen, am Infostand gemeinsam Antworten zu entwicklen? Mit ihnen gemeinsam ausloten, was ein soziales Europa an Kernbestandteilen bräuchte? Warum nicht eine starke Message an die Kommission senden, für ein soziales Europa?

Im kommenden Jahr sind Bundestagswahlen. Um als LINKE wieder auf einen Erfolgspfad zu kommen, braucht es eine partizipative Programmdebatte, die nicht von vornherein bestimmte Themen einschränkt, aus Angst vor vermeintlichen Strömungsauseinandersetzungen. Es braucht eine offene Debatte, auch und gerade mit den Menschen die uns ihre Stimme geben sollen, wie wir zukünftig leben und arbeiten wollen, wohin die Reise gehen soll. Wir müssen transparent machen, was wir für, mit den Menschen tun können und wollen - ohne falsche Versprechungen. Am Ende müssen wir sagen können, wie Gesellschaft besser geht, konkret und mit Beispielen. Nur wenn es uns gelingt, endlich von der Protestpartei zu einer Angebotspartei zu werden, eröffnen sich auch gesellschaftlich neue Optionen für Politikgestaltung jenseits der CDU.

Frank Puskarev, Jahrgang 1976, ist als Bürokaufmann ausgebildet, studierte Soziologie per Fernstudium an der Open University (Milton Keynes, UK), Internationale Beziehungen an der University of London/ LSE (UK) und in Kürze Jura wieder an der Open University. Seit Juli 2009 leitet er das Büro von Thomas Händel im Europäischen Parlament. Sein Beitrag erschien zuerst auf seinem Blog.

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