Die braunen Ministerriegen zu Kiel

Schleswig-Holsteins Parlament und Regierung waren über Jahrzehnte von Nazis dominiert

  • Dieter Hanisch, Kiel
  • Lesedauer: 3 Min.
In den Kieler Landeskabinetten der Jahre 1950 bis 1971 saßen durchgehend 67 bis 76 Prozent frühere NSDAP-Mitglieder. Das ergab eine Studie, die im Auftrag des Landtags erstellt wurde.

Erschütternde Erkenntnisse brachte ein 2013 einstimmig erteilter Forschungsauftrag des Landtags Schleswig-Holsteins an das Institut für Zeit- und Regionalgeschichte der Universität Flensburg: Die Zusammensetzung der Nachkriegsparlamente an der Kieler Förde war über Jahrzehnte noch mehr von Nazis geprägt als bereits bekannt. Entsprechende Fakten stellte kürzlich der Historiker Uwe Danker vor.

Die Aufarbeitung der NS-Zeit in der schleswig-holsteinischen Landespolitik war über Jahre Tabuzone und ein Thema für den »Giftschrank«. Zu viele »alte Kameraden« waren in der britischen Zone einer Entnazifizierung entgangen. Danker und seine Institutskollegen waren nun ersten, die sich die Reihen der Abgeordneten detailliert ansahen. Die Wissenschaftler durchleuchteten dazu die Lebensläufe von 342 Politikern der Geburtsjahrgänge bis 1928. Ihren Recherchen zufolge lag der Anteil an ehemaligen NSDAP-Mitgliedern im Landtag in den Jahren 1950 bis 1971 nie unter 40 Prozent, ja zum Teil sogar über 50 Prozent. Damit war der Prozentsatz an Parlamentariern, die bis 1945 auf der NS-Seite standen, über Jahre hinweg größer als der Anteil der Verfolgten. Im Vergleich zu anderen Landesparlamenten nimmt das nördlichste Bundesland damit eine besonders unrühmliche Spitzenstellung ein. In den Landesparlamenten von Bremen und Niedersachsen lag der Anteil an NSDAP-Mitgliedern im entsprechenden Zeitraum bei 26 beziehungsweise 34 Prozent. Eine genaue Untersuchung in Bayern ist gerade noch in Arbeit.

Personell belastet waren dabei insbesondere die CDU, die FDP, der damalige Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE), aber auch die SPD. Die stark revanchistisch argumentierende Partei des BHE war mit zwei Dritteln ihrer Abgeordneten besonders stark von alten Nazis geprägt. Besonders schockierende Zahlen ergeben sich für die 4. Legislaturperiode von 1958 bis 1962 unter dem CDU-Ministerpräsidenten Kai-Uwe von Hassel. Damals waren 73,5 Prozent der CDU-Abgeordneten einstige NSDAP-Mitglieder, desgleichen 75 Prozent der FDP-Mandatsträger und sogar 83,3 Prozent der BHE-Vertreter.

Vor solch einem Hintergrund ist dann auch parlamentarisches Handeln von damals zu erklären. So wurde 1951 im Kieler Landeshaus das Gesetz »zur Beendigung der Entnazifizierung« beschlossen. Diesen verordneten Schlussstrich kommentierte der damalige SPD-Oppositionsführer Wilhelm Käber sarkastisch: »Schleswig-Holstein stellt damit fest, dass es in Deutschland nie einen Nationalsozialismus gegeben hat. Die von 1933 bis 1945 begangenen Untaten gegen Leben und Freiheit von Millionen Menschen sind eine böswillige Erfindung.« Im Nachhinein wird so auch erklärlich, weshalb manch ein Untersuchungsausschuss über die NS-Zeit von der Mehrheit der Parlamentarier als lästige und unliebsame Zeitverschwendung angesehen wurde. So etwa, wenn es um die Befassung mit Euthanasieverbrechen oder um die Verstrickung führender Mitglieder der Landespolizei in der Nazi-Zeit ging.

Ein derartige Braunfärbung des Parlaments hatte natürlich auch Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Landesregierungen in Kiel: In den Kabinetten der Jahre 1950 bis 1971 saßen durchgehend 67 bis 76 Prozent frühere NSDAP-Mitglieder. Und auch 75 bis 85 Prozent der Staatssekretäre in diesen zwei Jahrzehnten waren entsprechend vorbelastet.

Danker ist es wichtig, bei den NSDAP-Mitgliedern zu unterscheiden: Waren es überzeugte NS-Ideologen, Karrieristen oder Mitläufer? Allgemein gilt dabei für ihn: Je früher der Beitritt erfolgte, desto überzeugter war die Gesinnung. Der Historiker unterstreicht dabei, dass er die von ihm und seinen Kollegen erstellten Listen nicht als Pranger verstanden wissen will. Die komplette Studie, die dann auch in ein Buch münden soll, will Danker im Juli vorstellen.

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