Digitale Verwaltungshauptstadt mit dem Brecheisen
Nach fast fünf verlorenen Jahren verabschieden SPD und CDU ein E-Government-Gesetz / Opposition hält Zeitplan für utopisch
Am Donnerstag hat das Abgeordnetenhaus mit Stimmen von SPD und CDU das E-Government-Gesetz beschlossen. Grüne und Piraten enthielten sich, nur die LINKE stimmte dagegen. Wenige Stunden vor der Verabschiedung des Gesetzes, mit dem die Digitalisierung der Verwaltung bis Anfang 2023 abgeschlossen sein soll, wollte die CDU-Fraktion sich und den Innensenatoren Frank Henkel (CDU) noch einmal loben. Der netzpolitische Sprecher der Fraktion, Burkhard Dregger, lud zusammen mit dem Interessenverband der Berlin-Brandenburger IT- und Internetwirtschaft SIBB zu einem Business-Frühstück ins Abgeordnetenhaus.
Henkel beließ es bei einer kurzen Begrüßung. Das Gesetz sei ein »Meilenstein«, um »einen guten Weg ins 21. Jahrhundert zu beschreiten«. Eine Formulierung, die schon bezeichnend ist, wenn ein knappes Sechstel dieses Jahrhunderts bereits verstrichen ist. Dann musste Henkel weg, sich um die Vergangenheit kümmern, denn in Tempelhof fand ein Festakt zum 67. Jahrestag der Beendigung der Berlin-Blockade statt.
Einer der Eckpunkte des Gesetzes ist die Zentralisierung der Ausrüstung beim landeseigenen Informationstechnologie-Dienstleistungszentrum Berlin (ITDZ) bis zum 1. Januar 2018. Bisher sind dafür 74 verschiedene Stellen zuständig. »Die Zentralisierung wird in dieser Zeitspanne nicht zu schaffen sein«, vermutet Thomas Birk, Verwaltungsexperte der Grünen-Fraktion. Allerdings gibt es auch Klauseln, mit denen notfalls die Umsetzung hinausgeschoben werden kann. Birk fürchtet Mehrkosten von 100 Millionen Euro durch den überstürzten Zuständigkeitswechsel, schließlich verschwinden die für die IT zuständigen Arbeitskräfte nicht auf Knopfdruck. Aktuell bekleckert sich das ITDZ nicht gerade mit Ruhm, seit Monaten schafft es es nicht, die Justizsoftware »forumSTAR« fehlerfrei zu laufen zu bringen.
Die administrative und haushalterische Verantwortung wird nun beim IT-Staatssekretär gebündelt. »Wir konnten bisher nur nette Briefe schreiben«, sagt Amtsinhaber Andreas Statzkowski (CDU), nun gebe es ein Entscheidungsrecht.
Bereits im Jahr 2011 gab es noch unter Rot-rot einen Gesetzentwurf, allerdings schien der aktuelle Senat über Jahre andere Prioritäten zu haben. In den letzten Monaten entwickelte sich eine hektische Betriebsamkeit. Zufrieden ist die Opposition mit dem nun beschlossenen Gesetz nicht, erleichtert sind dennoch alle, auch wenn der Zeitplan unisono für unrealistisch gehalten wird.
Am härtesten fällt die Kritik bei der LINKEN aus. »Die Aufnahme einer Dienstvereinbarung in das Gesetz wäre das Signal gewesen, die Beschäftigten mitzunehmen«, sagt der LINKEN-Verwaltungsexperte Uwe Doering während der Beratung im Parlament. Schließlich hätten die Mitarbeiter bei vielen Softwareprojekten schlechte Erfahrungen gemacht. Der Hauptpersonalratsvorsitzende der Berliner Landesbeschäftigten, Klaus Schroeder, hält denn auch die gesetzlichen Regelungen zur Zuständigkeit für »zumindest unzureichend«. Durch die neue zentralisierte Zuständigkeit sind die Beteiligungsregelungen bei der Umsetzung unklar.
Bemängelt wird auch, dass die Finanzierung der Umstellung im Haushalt noch überhaupt nicht abgesichert ist. »Die Pflichten im Gesetz stärken dem Innensenator den Rücken bei der Finanzierung«, sagt CDU-Digitalexperte Burkhard Dregger. Dass seine Partei das Gesetz in Regierungsverantwortung umsetzen werden muss, ist angesichts der aktuellen Umfrageergebnisse fraglich.
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