Niederlande wollen Prostitution per Gesetz eindämmen

Mehr als Hälfte der Prostituierten wird laut Schätzungen zur Sexarbeit gezwungen / Neues Gesetz stellt Zwangsprostitution unter Strafe / Sexarbeiterinnen-Gewerkschaft dagegen: »Noch mehr Frauen werden in Anonymität verschwinden«

  • Kerstin Schweighöfer, Den Haag
  • Lesedauer: 3 Min.
In den Niederlanden soll der Verkehr mit Zwangsprostituierten in Zukunft strafbar sein. Eine Mehrheit der Abgeordneten ist dafür. Doch die Liberalen und der Prostituiertenverband PROUD wenden sich gegen das Gesetz.

Sie trägt billige lilafarbene Reizwäsche. Scheinbar gelangweilt steht sie hinter ihrer Glasscheibe und beobachtet das Treiben um die Oude Kerk, die Alte Kirche in Amsterdam. Hier befindet sich das berühmte Rotlichtviertel - eine Touristenattraktion wie das Rembrandthaus und die Sonnenblumen von Vincent van Gogh. Doch statt der jahrelangen Liberalisierung will das niederländische Parlament der Prostitution nun mit einem Verbot begegnen. Eine Mehrheit der Abgeordneten hat sich dafür bereits ausgesprochen. Am 25. Mai findet die Parlamentsdebatte statt, am 31. Mai die Abstimmung.

Genaue Zahlen gibt es nicht, nur Schätzungen. Ihnen zufolge werden hinter den Fenstern mehr als 50 Prozent der niederländischen Prostituierten von Zuhältern und Menschenhändlern zum Sex gezwungen. Bei den Frauen, die weniger sichtbar in Klubs arbeiten oder auf den Strich gehen, dürfte die Ziffer noch höher liegen. Und das trotz der Legalisierung der Prostitution vor 16 Jahren. Auf diese Weise wollte die damalige niederländische Regierung aus der Prostitution einen Beruf wie jeden anderen machen – vorausgesetzt, die Frauen sind volljährig, stammen aus der EU und bieten ihre Dienste freiwillig an. Doch die Rechnung ging nicht auf. Dafür ist das Geschäft mit dem Sex für Zuhälter und Menschenhändler zu lukrativ. Es spielt sich nach wie vor im Verborgenen ab, mit Minderjährigen, mit Frauen aus Osteuropa und Lateinamerika.

Für Gert-Jan Segers, Fraktionsvorsitzender der streng calvinistischen Christenunie, ist es ein klarer Fall: »Das Gesetz hat nicht zu weniger, sondern im Gegenteil vielleicht sogar zu mehr Opfern geführt.« Seine kleine Partei hat zwar nur fünf der 150 Sitze im niederländischen Abgeordnetenhaus inne, aber eine radikale Wende eingeleitet. Freier, die ein »ernstes Vermuten« haben, dass die Prostituierte, die sie besuchen, unter Zwang arbeitet, und dies nicht melden, sollen sich in Zukunft strafbar machen.

Ihnen droht eine Haftstrafe von bis zu vier Jahren oder eine Geldbuße von maximal 20.250 Euro (22.500 Franken). So sieht es ein Gesetzesentwurf vor, für den die Christenunie eine Mehrheit der Abgeordneten hinter sich weiß, auch die niederländischen Grünen: »Wer beim Besuch einer Prostituierten in einer Kellerbox landet, wo er auf ein viel zu junges Mädchen trifft, das kein Niederländisch spricht und mit blauen Flecken übersät ist«, so die grüne Vizefraktionsvorsitzende Liesbeth van Tongeren, »der kann doch schwerlich davon ausgehen, dass es sich freiwillig prostituiert.«

Natürlich sei es schwer, ein »ernstes Vermuten« nachzuweisen. Aber das Gesetz könne einen präventiven Effekt haben und dazu führen, dass Freier verdächtige Orte wie Kellerboxen oder Garagen in Zukunft meiden. Die Interessengemeinschaft PROUD, zu der sich Prostituierte und andere Sexarbeiterinnen zusammengeschlossen haben, ist dennoch vehement gegen das neue Gesetz: »Politiker, die von unserem Fach keine Ahnung haben, wollen für mehr Sicherheit sorgen!«, klagt PROUD-Sprecherin Yvette Luhrs.

Das Gegenteil, so prophezeit sie, werde eintreten, und noch mehr Frauen in der Anonymität verschwinden. PROUD weiß die Linksliberalen und auch die rechtsliberale VVD-Partei von Premierminister Mark Rutte hinter sich. Diese beiden Parteien bezweifeln, dass das neue Gesetz dazu beiträgt, den Menschenhandel zu bekämpfen. Außerdem, so VVD-Abgeordneter Foort van Oosten, »wird dieses Gesetz auch die Kundschaft jener Männer und Frauen abschrecken und ihnen damit die Arbeit unmöglich machen, die auf ganz legale und freiwillige Art und Weise damit ihren Lebensunterhalt verdienen.«

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