Rhein-Neckar Löwen feiern ihre erste Meisterschaft

Vom Projekt zum Team: Erst der Strategiewechsel nach dem Rückzug des Hauptsponsors machte den Handballklub erfolgreich

  • Michael Wilkening, Lübbecke
  • Lesedauer: 4 Min.
Am Sonntag verteidigten die Rhein-Neckar Löwen ihren Vorsprung vor Flensburg. Der Weg zum ersten Meistertitel war ungewöhnlich.

Eine letzte Nervenschlacht blieb aus: Die Handballer der Rhein-Neckar Löwen gingen am Sonntagnachmittag den finalen Schritt zum erstmaligen Gewinn der deutschen Meisterschaft überaus souverän. Schon zur Pause war der Sieg beim Absteiger TuS N-Lübbecke bei einer 17:10-Führung in trockenen Tüchern, am Ende reichte der 35:23-Erfolg nach 60 Minuten, um die Tabellenführung mit einem Punkt Vorsprung vor der SG Flensburg-Handewitt zu verteidigen.

Nikolaj Jacobsen kann während eines Handballspiels ganz herrlich mit Andy Schmid schimpfen. Den Trainer der Rhein-Neckar Löwen und seinen Spielmacher verbindet eine Hassliebe. Als Jacobsen und Schmid in Lübbecke Arm in Arm und lächelnd zur Kabinenansprache marschierten, war klar, dass der Druck schon begann, abzufallen. Zwei Mal scheiterten die Löwen zuletzt haarscharf am Gewinn der Meisterschaft, ehe sich gestern das erfüllte, was der Kapitän Uwe Gensheimer als »Mission« bezeichnete.

»Diese Meisterschaft haben sich alle, die sich für den Verein engagieren, verdient«, sagte Gensheimer. Ganz besonders er. Denn der Linksaußen verlässt die Löwen im Sommer nach 13 Jahren und wechselt zu Paris Saint-Germain. Nach Spielschluss wurde der Kapitän von Tränen übermannt, in seinem letzten Spiel im Trikot der Löwen hatte er mit dem Klub, der in den zurückliegenden Jahren so viel Leid ertragen musste, seinen Traum verwirklicht. Und gleichzeitig den Vorwurf entkräftet, dass die Löwen und er nicht in der Lage seien, große Titel zu gewinnen.

Es ist die Schizophrenie in der Vereinsgeschichte der im Jahr 2002 entstandenen Rhein-Neckar Löwen, dass sie just in dem Moment anfingen, zu einer Meistermannschaft zu wachsen, als sich der Hauptsponsor zurückgezogen hatte. Ohne Geld ist in den Profisportarten kein Erfolg möglich. Und doch kommt es vor, dass ausgerechnet der Mäzen, der enorme finanzielle Mittel zur Verfügung stellt, gleichzeitig der Hemmschuh sein kann.

»Ich bin Jesper Nielsen dankbar, denn er hat mich zu den Löwen gebracht, aber viele gute Transfers haben wir erst gelandet, als er nicht mehr da war«, sagt Schmid. Der geniale Spielmacher aus der Schweiz, der zum dritten Mal zum besten Spieler der Handball-Bundesliga gewählt wurde, war einer der wenigen Glückstreffer von Nielsen, der mit Schmuck der Marke Pandora zu erheblichem Reichtum gekommen ist. Nachdem Nielsen mit markigen Worten (»Ich möchte die Löwen zum besten Klub der Welt machen«) angetreten war, verhinderte er mit einer Hire-and-Fire-Mentalität, dass sich eine Gruppe zusammenfügen konnte, in der sich Automatismen bilden. Eine Besserung trat erst ein, als sich der »Schmuckbaron«, auch wegen finanzieller Probleme in seinem Unternehmen, zu Beginn des Jahres 2012 zurückzog.

Den Finanzkollaps wendeten die Löwen anschließend mit großen Anstrengungen ab und wechselten danach erzwungen ihre Strategie. Bis zu 500 000 Euro jährlich muss der Klub immer noch Jahr für Jahr aufbringen, um die Schäden der Nielsen-Ära abzutragen. Als die Löwen im Sommer 2012 neue Akteure verpflichteten, stand deshalb der Charakter der Spieler über deren Qualität. »Da kamen Gedeon Guardiola, Alexander Petersson und Kim Ekdahl du Rietz, die unser Spiel bis heute prägen«, sagt Spielmacher Schmid. Fortan war mit den drei Neuzugängen, die keinen klangvollen Namen in der Handballwelt hatten, sowie Schmid, Gensheimer und Nationalspieler Patrick Groetzki der Kern der Mannschaft gebildet, die jetzt den Titel feierte. Erst als die Löwen keine Stars mehr einkauften, wurde aus einem Projekt ein Team, in dem jeder individuell wachsen konnte.

Einen vorzeitigen Lohn dieser Entwicklung verpassten die Badener vor zwei Jahren hauchdünn, als sie in einem dramatischen Endspurt wegen der Winzigkeit von zwei Toren an der Meisterschaft vorbeischrammten. Der THW Kiel hatte die Löwen am letzten Spieltag der Saison noch vom Thron gestoßen und damit für einen Schockzustand beim Vizemeister gesorgt. Die Mannschaft zerbrach aber nicht an diesem Erlebnis, sondern zog Energie aus ihm, um sich zurückholen zu können, was aus ihrer Sicht gestohlen worden war. Mit trotziger Beharrlichkeit verfolgten sie ihr Ziel weiter, rückten mannschaftlich noch geschlossener zusammen und belohnten sich ausgerechnet im letzten Spiel ihres Kapitäns mit der Meisterschaft.

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