- Sport
- Probetraining
Frühmorgens im Flow
Noch wenige Tage bis zum Wettkampf: Der erste Schwimmversuch im Neoprenanzug
Noch zehn Tage steht auf meiner Countdown-Uhr, als ich in Schildow unter dem flirrenden Blätterdach aus dem Auto steige. Kurz nach neun, ein perfekter Spätsommertag, der Kiessee liegt grün und einsam vor mir. Nur zwei rotgebrannte Rentner mit langen Haaren sitzen schon auf ihren Aufblasliegen im Strandbad. Die ersten Biere sind geöffnet: »Tach-chen!«
Ich breite neben den Alten mein Handtuch aus und versuche, mich in meinen neuen Neoprenanzug zu quetschen. Der »Orca Athlex Flow« ist vor zwei Tagen geliefert worden. Seine Gummischicht ist dünn und hochempfindlich, weswegen dem guten Stück extra weiße Handschuhe beigelegt sind, mit denen ich nun angestrengt versuche, in die Ärmel zu kommen. Ich schwitze, die Alten schauen mir belustigt zu. »Janz schön eng, dit Ding, wa?«
Nach vielem Zerren und Zurren bin ich drin, puh, ist das knapp! Nun noch der Reißverschluss auf dem Rücken! Ich zerre an der Kordel, aber das Ding rührt sich keinen Millimeter. Um mich verbreitet sich eine Wolke aus Schweiß und Kautschuk. Schließlich bitte ich den Alten mit der gelben Sonnenbrille mir zu helfen. Er quält sich hoch: »Klar, doch! Ick war ooch ma Schwimma!« Als alles passt, bitte ich ihn, noch ein Foto zu machen – für meine Frau (und für mein Insta). Lachend nimmt er mein Handy: »Dann weeß deine Frau, det de am See bist und nich bei deine Freundin!«
nd-Redakteur Jirka Grahl probiert Neues, zum Auftakt Triathlon. 1500 m Schwimmen, 43 km Rad, 10 km Lauf. Am 14.9. ist Wettkampfpremiere: beim Fehmarn-Triathlon.
Endlich gehe ich ins Wasser. Es ist fast zu warm für einen Neo, doch hier geht es ja auch nicht um die Wassertemperatur, sondern um die Zeit. Kann die schwarzsilberne Hülle mich schneller machen? Ich kraule los und versinke in Gedanken. Schwimmen ist Meditieren, das weiß jeder, der regelmäßig seine Bahnen zieht. Traumhaft heute! Was gibt es Besseres, als hier allein durch das spiegelglatte Wasser zu gleiten?
Ich bin im Flow. Und tatsächlich, im Neopren fühlt man sich noch leichter im Wasser, fast, als würde man angehoben. Der nasse Kautschuk saugt sich an meinem Körper fest wie eine zweite Haut, und weil das Material so dünn ist, kann ich mit den Armen dennoch wie gewohnt zu Kraulzügen ausholen. Hoher Ellenbogen, Arm eintauchen und am Ende noch ein schneller Abdruck mit der Hand, so wie ich es vor drei Jahren in der Volkshochschule Pankow bei einem Freistil-Kurs gelernt habe! (Kann ich jedem nur empfehlen, zum Kraulen ist es nie zu spät!)
Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.
Alle paar Züge hebe ich den Kopf, um die Orientierung zu behalten, meine Kompassbrille hab ich diesmal zu Hause gelassen. Ich ziehe in einem Dreieck meine Runden. Alles fühlt sich leicht an. Als ich gutgelaunt aus dem Wasser steige, bin ich beim Blick auf die Sportuhr geschockt: 2327 Meter in 58:55 Minuten. Oje! Weit weg von dem, was ich eigentlich schwimmen kann. Ich setze mich auf eine Bank. Kopfschüttelnd pelle ich mich aus dem Anzug.
»Na, wie war’s?«, fragt der Sonnenbrillenmann und setzt sich neben mich. »Zu langsam, leider!«, antworte ich. Er nippt an seinem Kindl und nickt weise, da kommt mir plötzlich der wahre Grund für meine Langsamkeit in den Sinn: »Ich glaub, ich hab geträumt. Ist einfach ein viel zu schöner Tag für Bestleistungen heute.«
Alle Probetraining-Kolumnen:
Teil 1: Wie geht Triathlon?
Teil 2: Im Regen stehen
Teil 3: Die lieben Kleinen
Teil 4: Nackt im Glück (54)
Teil 5: Der Mann mit dem Plan
Teil 6: Im Riegelrausch
Teil 7: Urlaub in Höchstform
Teil 8: Wellengang und Wunderbrille
Teil 9: Die Reihen lichten sich
Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Dank der Unterstützung unserer Community können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen
Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.