Links tätowiert, links motiviert?

Wilde Spekulationen über den politischen Hintergrund des Mannes, der mit Rohrbombe im Rucksack festgenommen wurde

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 3 Min.
In Köln wurde ein Dortmunder mit einer Rohrbombe im Rucksack festgenommen. Manche Medien bezeichneten ihn als »Linksautonomen«. Die Staatsanwaltschaft Köln bestätigt das so nicht.

In Köln dürfte sich mancher nach jenen seligen Tagen zurücksehnen, als man lediglich als Welthauptstadt der Korruption verschrien war. Macht die Domstadt heute Schlagzeilen, dann geht es um Gewaltverbrechen. So wie nach den massenhaften sexistischen Übergriffen zum Jahreswechsel - oder wie am vergangenen Wochenende, als öffentlich wurde, dass die Kölner Polizei offenbar einen terroristischen Anschlag verhindern konnte.

Weil er ein T-Shirt mit der Aufschrift »FCK CPS« (= »Fuck Cops«, in etwa: »Scheiß auf Bullen!«) trug, wurde am Donnerstag ein 27-jähriger Dortmunder auf dem von Touristen stets gut besuchten Alten Markt im Herzen der Altstadt durchsucht. In seinem Rucksack fanden Polizeibeamte einen funktionstüchtigen Sprengsatz, von dem nach Polizeiangaben »erhebliche Gefahr« ausging. Vier Begleiter, in deren Gegenwart sich der Mann zum Zeitpunkt der Festnahme befand, sind aber wieder auf freiem Fuß.

»Polizei nimmt Linksautonomen mit Rohrbombe fest«, überschrieb »Spiegel Online« am Wochenende seinen Bericht und folgte dabei wie so viele als seriös geltende Medien einer Formulierung der Nachrichtenagentur dpa. Eine ultrarechte Webseite aus Dortmund legt noch eine Schippe oben drauf: Sie glaubte zu wissen, der Festgenommene sei »Antifaschist«. Auch hier war wie selbstverständlich von »Linksautonomen« die Rede.

Greift nach Islamisten und Neo-Nazis jetzt auch der umstrittenste Teil der Linken zur Explosionswaffe, möglicherweise nicht nur wider Gegenstände, sondern gegen Menschen, gar gegen Zivilisten, die sich zufällig an einem belebten Ort aufhalten? Im Netz kursieren die wildesten Gerüchte. Man wisse bisher noch nichts über die Motive und etwaige konkrete Tatpläne, betonte am Montag hingegen Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn, der zuständige Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Köln, auf Nachfrage des »nd«. Auch über politische Hintergründe kann demgemäß nur spekuliert werden: »›Linksautonomer‹ ist eine in den Medien kolportierte Formulierung«, so der Jurist.

Fest stehe bisher: Der Festgenommene sei »in der linken Szene verhaftet«. Darauf hätten sich Hinweise bei der Durchsuchung der Person und von dessen Dortmunder Wohnung gefunden. »Er ist zudem tätowiert als Anhänger einer linken Organisation«, berichtete Willuhn, ohne jedoch Details preisgeben zu wollen.

Und die geplante Tat? »Nach ersten Angaben war er auf einem Tagesbesuch in Köln. Wenn man bei einem Tagesbesuch eine Rohrbombe mit sich führt, spricht vieles dafür, dass man den Sprengsatz nicht wieder mit nach Hause nimmt«, so der Staatsanwalt.

Gegen den jungen Mann wurde Haftbefehl erlassen, er sitzt in Untersuchungshaft. Vorgeworfen wird ihm die Vorbereitung eines Explosionsverbrechens. Der Mann ist justizbekannt wegen einer körperlichen Auseinandersetzung vor fünf Jahren. Dabei soll es um politische Motive gegangen sein.

Köln steht immer wieder im Visier von Bombenlegern. Im Juli 2006 scheiterte ein islamistisch motivierter Anschlag mit Kofferbomben im Kölner Hauptbahnhof, weil die Sprengsätze nicht explosionsfähig waren. Zwei Jahre zuvor explodierte eine Nagelbombe in der türkisch geprägten Keupstraße - die Tat wird der Nazi-Terrortruppe NSU zur Last gelegt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal