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Die Ära des Nippes
Vom »Baumanhänger Maggi Flasche« bis zur »LED-Laterne mit Schneefalleffekt«: die wunderbare Welt der Weihnachtsdeko-Artikel
Es gibt sie wieder: Die »Charity-Christbaumkugel« von Christian Streich. Für den Lions Club und einen guten Zweck hat der legendäre, langjährige Fußballtrainer des SC Freiburg eine Weihnachtskugel gestaltet. Sinnigerweise in meiner Lieblingsfarbe, in rot. Die ersten 5000 Exemplare waren ruckzuck weg, auch weil meine Familie und ich drei Exemplare nach Hamburg bestellt haben. Zum Preis von 9 Euro das Stück.
Unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten war dieser Streich ein guter Deal. Jedenfalls, wenn man solche Bewertung angesichts des grandiosen Friedenspreises, den der Fußballweltverband Fifa an den US-Präsidenten und Vater aller Peace-now-Deals, Donald Trump, verliehen hat, nicht als zu profan ansehen mag.
Meine Einschätzung, ein gutes Geschäft per Post gemacht zu haben, bestätigt sich bei einem Besuch in der Butlers-Filiale in meinem Viertel namens Eppendorf. Für den »HANG ON Baumanhänger Maggi Flasche« will der Geschenkartikelgigant mit bundesweit rund einhundert Filialen zwar nur 6,99 Euro haben. Aber wer will schon angesichts von Wiener Würstchen mit Kartoffelsalat oder einer Entenbrust auf Rotkohl zu Heiligabend an die dubiose Gewürzflüssigmischung erinnert werden? Dann doch lieber einen Baumanhänger »Worcestersauce«. Der alte DDR-Verschnitt ist allerdings als Weihnachtsdeko nicht zu haben. Nur in echt.
Aschenbecher im Nichtraucherhaushalt
Der Siegeszug der Geschenkartikel und damit auch der Siegeszug der Weihnachtsdeko-Artikel ohne Lametta begann Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre mit »Samt & Sonders«. In der Spitalerstraße, der besonders unter Vorortbewohnern populären Einkaufsmeile, die direkt am Hamburger Hauptbahnhof beginnt.
Das »Wirtschaftswunder« hatte in der BRD nicht nur die Mägen der Menschen gesättigt, sondern auch Kühlschränke, Fernseher und einen Volkswagen zur Standardausstattung werden lassen. Es begann für viele – übrigens auch in der DDR – die Zeit des konsumtiven Überflusses und damit die Ära des Nippes. Aschenbecher – es war der vierte oder fünfte im Nichtraucherhaushalt – in Kopfform, der dicke Hoss aus der liebenswürdigen US-Fernsehserie Bonanza als Plastikfigur für den Schreibtisch oder der vierfarbige Jahreskalender auf Leinen als Blickfang für die Küche wurden zu Verkaufsschlagern.
Es ist zumindest anzunehmen, dass diese und andere Geschenkartikel es waren. Denn sogenannte Geschenkartikel sind nur vage definiert und müssen paradoxerweise keineswegs verschenkt werden. Stattdessen können sie ebensogut dem Eigenbedarf dienen, das eigene Heim verschönern. Der englische Begriff fancy goods (aparte, phantasievolle Artikel) umreißt diese Warengruppe präziser, meint Wikipedia. Die begriffliche Unbestimmtheit führt jedenfalls dazu, dass es keine verwertbare Statistik gibt, die den Markt angemessen abbildet. Das gilt für Geschenkartikel und erst recht für Weihnachtsdeko.
"Weihnachtshemmende Pflichten"
Im Business-to-Business-Bereich wird der Begriff Werbeartikel, Werbemittel oder »Give-Away« (gib weg) verwendet. Unser hochgeschätzter Bürolieferant Böttcher AG in Bochum bietet saisonal neben Schokoweihnachtsmännern und Massen von Weihnachtsdeko fürs adventgestimmte Büro – etwa goldige Engel, romantische Häuschen und die »LED-Weihnachtslaterne mit Schneefalleffekt« – auch noch die Weihnachtsmannfigur »Monzana« an. Aufblasbar, mit integrierter Pumpe, beleuchtet und schlappe 250 Zentimeter hoch. Nicht allein in Hamburg, auch in Berlin, Leipzig und im ganzen Land verschönert »Monzana« in diesen vorweihnachtlichen Tagen manches Ladengeschäft. 34,99 Euro kostet der Reklamespaß, plus Mehrwertsteuer.
Ganz zufrieden scheint man im Gesamtverband der Werbeartikel-Wirtschaft (GWW) in Köln dennoch nicht zu sein. Das Vor-Corona-Niveau von 3,65 Milliarden Euro dürfte 2025 wieder nicht erreicht werden. Den Umsatz im vergangenen Jahr beziffert der Verband auf 3,33 Milliarden Euro. Ein Rückgang von 0,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (2023: 3,36 Milliarden Euro). »Die Entwicklungen spiegeln die insgesamt angespannte wirtschaftliche Gesamtlage wider«, erklärt der Verband. Dem GWW gehören rund 450 Mitgliedsfirmen an. Und die beklagen steigende Preise für die Waren aus China, »wachstumshemmende« Aufzeichnungspflichten und eine zu niedrige steuerliche Freigrenze von 50 Euro – teurere Werbegeschenke muss der Beschenkte dann in seiner Steuererklärung verbuchen.
Die vorweihnachtliche Jagd nach Weihnachtsartikeln führt uns noch in eine Niederlassung der Gries Deco Company GmbH. 1948 hatten Oskar und Maria Gries in Schöllkrippen die damalige »Gesellschaft zur Fabrikation von künstlichen Früchten und Christbaumschmuck« gegründet. Heute unterhält das Unternehmen unter dem Markennamen »Depot« bundesweit Filialen für Wohnaccessoires. Mit bis zu 49 Prozent Rabatt auf »festliche Highlights« wirbt die Firma im Weihnachtstrubel. Mein Liebling: Die »Tasse Zuckerstange« (4 Euro), dazu die »Snackschale« gleichen süßen Namens für ebenfalls 4 Euro.
Wer nach diesem Einkaufsbummel noch Wünsche offen hat, ist selber schuld. Oder wendet sich doch lieber an das Hilfswerk des Lions Club Freiburg. Seit 2023 verkauft dieser für einen gemeinnützigen Zweck Weihnachtskugeln mit einem Motiv, das von einer bekannten Persönlichkeit gezeichnet wurde. Die Aktion startete mit einer roten Kugel, die vom früheren DFB-Auswahlspieler und Fußballprofi des SC Freiburg, Nils Petersen, gemalt wurde. Letztes Jahr gestaltete der Pop-Jazz-Sänger und Songwriter Max Mutzke die Baumanhänger. Und auch in diesem Jahr brachte der Lions Club eine Weihnachtskugel heraus. Aber das wissen wir ja schon. Christian Streichs Motiv unter dem edlen Motto »Weihnachten für alle« steht für Solidarität und Zusammenhalt. Werte, die uns auch nach Weihnachten mehr als 9 Euro wert sind.
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