Titanen unter Adrenalin
Jirka Grahl über TV-Experten in ARD und ZDF und ihre Gagen
Wer braucht eigentlich noch TV-Experten, wenn man selbst bei dieser EM seit zwei Spieltagen nun endlich im Fußball schwelgen kann? Glaubt man bei der ARD allen Ernstes, die Kostbarkeit von Islands Achtelfinalsieg wird dem Laien erst dann verständlich, wenn mittelalte Ex-Fußballer wie Stefan Effenberg (»Das Adrenalin, das man jetzt in sich hat, werden sie weitertragen!«) ihren Senf dazugeben? Wüsste keiner ohne »Effe«, dass dem 2:1 der Isländer ein Torwartfehler vorausging?
Kann sich am DFB-Sieg gegen die Slowakei nur erfreuen, liebes ZDF, wer Oliver Kahn beim selbstgefälligen Verbreiten der Binsenweisheit gelauscht hat, nach der ein guter Torwart immer hellwach sein muss, auch wenn er im ganzen Spiel kaum zu tun hat: »Und wo lernt man das? Beim FC Bayern München!«
Myriaden dusseliger Halbsätze sondern die Fußballvollerwerbstätigen nach ihren 90-minütigen Arbeitstagen ab. Niemand will so etwas hören - klar! Aber dürstet wirklich wer nach grauen Fußballplattitüden - vorgetragen von einem erwachsenen Mann, der seine Homepage mit »Oliver Kahn - Titan« überschreibt? Muss derlei Siegermentalitätsdarstellern die Plattform von 28 Millionen Zuschauern geboten werden?
»Kress.de« schreckte mit der Meldung auf, Kahn und Mehmet Scholl würden 50 000 Euro pro Auftritt in ARD und ZDF verdienen - »so viel wie ein erfahrener Redakteur im Fernsehen im Jahr!« Kahns Manager dementierte, wie auch die ARD, die von vorsätzlicher Bösartigkeit sprach: Die kolportierten Summen entsprächen »nicht annähernd der Realität«. Indes: Vertragsdetails gebe die ARD prinzipiell nicht bekannt. Weswegen »Effes« Satz von den Isländern wohl auch für die kritischen Gebührenzahler gilt: Ihr Adrenalinpegel wird noch eine ganze Weile hoch sein.
Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln
Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.