Frauen können ein Pferd im Galopp anhalten

Die Ukrainerin Uliana Kotsaba kämpft um die Freilassung ihres Mannes, der zur Kriegsdienstverweigerung aufrief

  • Ulrich Heyden
  • Lesedauer: 7 Min.
Uliana Kotsaba kämpft für die Freilassung ihres Mannes, der 2004 die orange Revolution in Kiew unterstützte und jetzt wegen eines Aufrufes zur Kriegsdienstverweigerung im Gefängnis sitzt.

Es ist bereits 23 Uhr. Uliana Kotsaba war den ganzen Tag in Berlin unterwegs und hat Interviews gegeben. Nun sitzen wir in der Neuköllner »Hofperle«. Uliana ist trotz der späten Stunde voll konzentriert und beantwortet meine Fragen.

Obwohl sie die Alleinernährerin von zwei Töchtern - neun und dreizehn Jahre alt - ist, hat sich Uliana im Frühsommer auf Einladung der Deutschen Friedensgesellschaft auf den Weg nach Deutschland gemacht, um auf Veranstaltungen in fünf Städten über das Schicksal ihres Mannes, Ruslan Kotsaba, aufzuklären. Er war am 7. Februar 2015 nach einer Hausdurchsuchung in Iwano-Frankiwsk von ukrainischen Sicherheitsbeamten verhaftet und am 12. Mai 2016 wegen Aufrufs zur Kriegsdienstverweigerung und »Behinderung der Armee« zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden.

Die Verteidigung legte Berufung gegen das Urteil ein. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Verurteilung wegen Landesverrats gefordert. Darauf steht eine Mindeststrafe von zwölf Jahren Gefängnis.

Wie lief die Hausdurchsuchung in ihrem Haus im westukrainischen Iwano-Frankiwsk ab? »Sie stellten alles auf den Kopf, sogar die Kinderwäsche durchsuchten sie. Was sie suchten, weiß ich nicht.« Die Beamten hätten Aufzeichnungen ihres Mannes, die Festplatte seines Computers und seine gesamte Foto- und Videotechnik beschlagnahmt.

Aufruf hat mit Erlebnissen im Krieg in der Ostukraine zu tun

Der Tag war für Uliana anstrengend. Am Vormittag war sie bei der Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Bärbel Kofler (SPD). Die versprach zu helfen. Dann gab sie dem Deutschlandfunk ein Interview und abends saß sie bei einer Solidaritätsveranstaltung für Ruslan Kotsaba auf dem Podium in der Galerie »Olga Benario« in Berlin-Neukölln.

Dass sich Ruslan Kotsaba entschloss, öffentlich zur Kriegsdienstverweigerung aufzurufen, hatte mit seinen Erlebnissen im Krieg in der Ostukraine zu tun, erklärt seine Frau Uliana. Im Sommer 2014 - der Hochphase des Krieges - war er dort als Journalist für den Kiewer Fernsehkanal 112 auf beiden Seiten der Front tätig. In seinem Mitte Januar veröffentlichten Aufruf zur Kriegsdienstverweigerung sagte der Journalist, er werde eher eine Gefängnisstrafe in Kauf nehmen, als auf seine Landsleute in der Ostukraine zu schießen. Der Aufruf wurde bis zum Juni dieses Jahres 436 000 Mal angeklickt.

In der Anklageschrift gegen den Journalisten sind 20 Punkte aufgeführt. Unter anderem heißt es da, seine Tätigkeit als Journalist habe »gesellschaftsgefährdenden Charakter«. Die Behauptung, die Ukraine würde Zivilisten töten, sei eine »Hilfestellung für ausländische Mächte«. Denn Ruslan habe seine Behauptung im russischen Fernsehen wiederholt.

Kotsaba habe die separatistischen Militärs in der Ostukraine als »Helden« bezeichnet, hieß es außerdem in der Anklageschrift. Doch auch dieser Vorwurf war konstruiert. Als »Beweis« wird ein Appell von Ruslan an die ukrainischen und separatistischen Militärs zitiert. Darin heißt es, sie könnten ja den Heldentod sterben, sollten aber bitte die Zivilisten verschonen.

Er hat immer die Menschen sprechen lassen

Am 2. Juni 2014 - Ruslan berichtete für den Fernsehkanal 112 gerade aus Lugansk - gab es für Ruslan ein Schlüsselerlebnis. Seine Frau Uliana berichtet: »Im Fernsehen erzählten sie den Menschen, dass an der Außenwand der Gebietsverwaltung von Lugansk eine Klimaanlage explodiert sei. Die Splitter der Explosion hätten vier Menschen getötet. Aber Ruslan war vor Ort. Er hat alles mit eigenen Augen gesehen und die Menschen interviewt.«

Später wurde bekannt, dass ein ukrainisches Flugzeug die Gebietsverwaltung mit einer Rakete beschossen hatte. Ob Ruslan das in dem Kiewer Fernsehkanal berichtet hat, frage ich Uliana. »Er hat in seinen Filmen selbst wenig gesprochen. Er hat die Menschen selbst sprechen lassen. Die Menschen beschuldigten die ukrainische Armee wegen der Beschießung.«

Der Kiewer Fernsehkanal 112 hat Ruslan gekündigt. Der Kanal war von den Kiewer Behörden schon gerügt worden und fürchtete nun die Schließung. Und die Kollegen, gab es von ihnen Unterstützung? Nein, sagt Uliana. Nur auf privater Ebene habe es das gegeben. »Alle hatten Angst, das Schicksal von Ruslan zu erleiden.« Erst als Ruslan verurteilt worden war, gab es etwas mutigere Reaktionen.

Schlangen vor den Visa-Zentren

Auf einer Veranstaltung im Peter-Weiss-Haus in Rostock erklärte Uliana auf eine Frage aus dem Publikum, Petro Poroschenko habe bei den ukrainischen Präsidentschaftswahlen im Mai 2014 landesweit beachtliche 54 Prozent der Stimmen bekommen, weil er versprochen hatte, dass die »Anti-Terror-Operation« in der Ostukraine in wenigen Tagen beendet sein werde. »Niemand bei uns wollte kämpfen. Und ich habe den Eindruck, dass die Menschen auch jetzt nicht kämpfen wollen. Viele verlassen die Ukraine, um sich der Wehrpflicht zu entziehen. Es gibt bei uns keine Schlangen vor den Kreiswehrersatzämtern. Bei uns gibt es Schlangen vor den Visazentren.«

Was Ruslan von Russland wolle, frage ich Uliana »Er will gar nichts von Russland. Es geht nicht um Russland. Ruslan versteht, dass Russland, die EU und die USA ihre eigenen Interessen haben. Doch an diesem Fleischwolf der Interessen leiden vor allem die Menschen, die in der Ukraine leben.«

Was muss man tun, um den Krieg zu beenden? »Man muss einen Waffenstillsand vereinbaren und Gespräche führen. Natürlich muss die ganze Konfliktzone demilitarisiert werden. Dafür gibt es auf der Welt schon erprobte Methoden.«

Ob es möglich sei, dass Lugansk und Donezk nach ihren eigenen Regeln leben? »Ich bin kein Politiker«, meint Uliana. »Wahrscheinlich braucht die Ukraine nicht die Bevölkerung, sondern das Territorium. Man zwingt den Menschen eine Position auf. Und im Fernsehen sagt man, dass die Menschen in Donezk und Lugansk selbst schuld sind. Sie hätten Putin gerufen und dass er Truppen schicken soll. Man brauche kein Mitleid mit den Menschen dort zu haben. Es sei normal, dass man ihnen keine Rente zahlt.« Diese Art des Umgangs führe aber in eine Sackgasse.

Karriere als Tortenbäckerin

Uliana ist studierte Sprachwissenschaftlerin. Doch ihr Geld verdient sie seit vielen Jahren mit Designertorten. Die verziert sie mit essbaren bunten Blumen in zarten Formen. Sie hat inzwischen eine solche Fertigkeit entwickelt, dass sie als Spezialistin durch die Ukraine reist und Seminare zum Thema Designertorten gibt. Eines ihrer Videos zur Tortenherstellung wurde 552 000 Mal angeklickt.

Ruslan in die Knie zu zwingen sei nicht möglich, sagt Uliana. Schon seit dem Ende der 1980er Jahre sei er politisch aktiv, damals noch in einer Studentengruppe. »Sie kämpften mit Hungerstreiks für die Unabhängigkeit der Ukraine.«

Der schöne Traum von einer unabhängigen, demokratischen Ukraine habe sich aber nicht erfüllt. Die Unabhängigkeit von 1991 sei nur formal gewesen. In Wirklichkeit - so las sie auf den Veranstaltungen aus ihrer vorbereiteten Rede vom Blatt - seien das staatliche System und »die Arbeitsmethoden der Sowjetunion unter dem Deckmantel patriotischer Losungen, der blau-gelben Fahne und des Dreizacks nicht nur lebendig - sie waren zu etwas Widerwärtigem mutiert, das den jungen Staat von innen auffraß«.

Bevor Ruslan Ende der 2000er Jahre Journalist wurde, war er Angestellter im Umweltbereich. 1992 hatte er im westukrainischen Lviv eine Ausbildung am forsttechnischen Institut mit der Spezialisierung Jagdwesen abgeschlossen. Er wurde Leiter der Jagdaufsicht von Iwano-Frankiwsk und später Leiter der Gebiets-Fischerei-Inspektion. Er brachte mit seiner Arbeit viele Menschen gegen sich auf. Er wohnte praktisch auf der Arbeitsstelle, machte selbst Kontrollfahrten und fing Gesetzesbrecher - darunter sehr oft Vertreter der Staatsmacht wie Angehörige der Miliz und sogar des Sicherheitsdienstes der Ukraine. Es gab einige aufsehenerregende Gerichtsverfahren, in denen am Ende »Wilderer in Uniform« sogar schuldig gesprochen und Strafen verhängt wurden.

Kinder sollen eine Perspektive in einem normalen Land haben

Nach dem Sieg der orangen Revolution 2005 wurde Ruslan aus dem Staatsdienst entlassen. Man warf ihm vor, er unterstütze die alte Macht unter Ex-Präsident Leonid Kutschma. »Dabei hatte er die gesamte orange Revolution unterstützt.«

Was sie sich für ihre Kinder wünsche, frage ich zum Schluss Uliana Kotsaba. »Ich will, dass meine Kinder in einem normalen Land leben, in dem sie eine Perspektive und eine normale Ausbildung bekommen, ein normales Leben führen können.« Ob es nicht schwer sei, die Kinder alleine aufzuziehen? »Ich glaube, dass mein Mann sich in dieser Situation genauso verhalten würde. Wir haben uns gegenseitig geschworen, dass wir uns unterstützen.«

Uliana ist den Tränen nahe. Wie soll sie einem Mann erklären, wozu Frauen in der Lage sind? Sie zitiert den russischen Dichter Nikolai Nekrassow. »Frauen können ein Pferd in vollem Galopp anhalten und eine brennende Hütte betreten.« Ja, es sei ein Gedicht aus Russland. Und damit ich Bescheid wisse: »Die Kraft der ukrainischen Frauen ist noch einmal so groß.« Einen Augenblick zuvor wollte sie noch weinen, jetzt aber lacht sie.

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