Eine haushohe Niederlage

In der Tischlerei der Deutschen Oper wurde das Jugendprojekt »Das große Spiel« aufgeführt

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Tischlerei ist eine Experimentierbühne. Die Deutsche Oper will mit ihrer Hilfe vor allem ihr jugendliches Profil schärfen und ihre Weltoffenheit, mindestens ihren Blick über starre Operngrenzen hinweg zeigen. Sie entwickelte Kinder- und Jugendchöre und betraute dieselben mit Aufgaben. Ein theaterinteressierter Jugendclub trat in die Welt.

Einmalige Projekte, auf verschiedene Altersgruppen zugeschnitten, entstanden in der zu Ende gehenden Saison wie »Ein Stück vom Himmel«, geschrieben für Kinder bis 4 Jahren von der spanischen Komponistin Nuria Núnez Hierro, das von der Wiederbelebung eines Vogels handelt, der sich die Flügel gebrochen hat. Oder »Neuland« von Vivan Bhatti, ein Musiktheater mit jugendlichen Geflüchteten und Berlinern, worin die Migranten mit ihren deutschen Freunden eine Gesellschaft nach ihrem Willen bauen mit all den verschiedenen Handwerkskünsten, Sprachen und Kulturen drin. Eine schöne Idee.

Nun kam »Das große Spiel« mit der Neukomposition (Arrangeurin Alexandra Holtsch) von Emilio de Cavallieris um 1600 komponierter Oper »Rappresentatione di anima e di corpo« in der Regie von Leonie Arnhold. Eine Enttäuschung. Mehr noch, es ist, bedacht mit einem Sturm von Beifall, kläglich gescheitert oder: »Das große Spiel« ist hoch verloren gegangen. Natürlich nur im Kopfe eines Störenfrieds, der, böswillig, die Freude trüben will, der dem Ensemble den Erfolg missgönnt, der die Zeichen des Jetzt nicht versteht oder verstehen will. Quatsch. Aber was die Zeichen dieses »Großen Spiels« betrifft, so befördern sie nicht den Vorstoß, sondern weisen in die banalsten vormodernen Gefilde zurück, in das, was neues Musiktheater längst hinter sich gelassen hat.

Von Experiment kann keine Rede sein. Das Gewöhnliche, Antiquarische regiert, obendrein das falsche Gefühl. Was längst weg sein müsste, aber weiter auf dem Vormarsch ist: Crossover singt und spielt hier, ein Mischmasch, wie ihn die ARD- und sonstigen Kulturwellen stündlich produzieren und darüber jegliche Klarheit der Sinngebung zukleistern. Von jedem etwas, bunt, individualistisch, obsessiv serviert mit viel Getümmel und Gefühligkeit.

So auch im »Großen Spiel«. Der Inhalt ist in neuer Übersetzung (Klaus Meyer) der Oper abgezogen. Es geht um Versuchung und Verlockung. Körper (Corpo) und Seele (Anima) liegen so sehr in Harmonie wie im Streit. Ihr Gebet soll gehört werden. »Mit deinem Gott im Himmel glücklich leben.« Niederkniende Aktionsgruppen zeigen zerknirscht das Gebet. Einer sucht die Leute sogar ernstlich zur Meditation anzustiften, mit Hilfe sanfter elektronischer Klänge. Elektronik irrt öfter herum und treibt die »Mächte des Bösen« zur Aktion.

Es geht auch um die Buntheit der Religionen und deren Negation. Die eine schreit plötzlich: »Ich glaube nicht an Gott, ich glaube nicht an das Schicksal«, und fügt wohlmeinend Dinge an, die in Grundgesetz oder UN-Charta stehen könnten. Der Dschihadismus kommt sogar zu Ehren. Eine Gruppe repetiert dutzendfach schreiend und stoisch: »Wehrt euch gegen die Ungläubigen!« Barocke Klänge und Aktion, zu einem Brei verrührt. Mache einer sich da einen Reim.

Die Kapelle, Mitglieder des Hausorchesters unter Christian Lindhorst, sitzt rechts. Mit den beiden Saxophonen (Alt und Sopran), Posaune, Streicher, Schlagzeug, Basso continuo ist sie originell besetzt. Hinter ihr der gemischte Chor in Schwarz, junge Stimmen. Vorn die Solistengruppe. Einige Arien und Zwischenspiele der Cavalieri-Oper sind durchaus ansprechend, die dauernden Sequenzbildungen und Wiederholungen nicht. Links wartet die große Spielfläche auf vielerlei Verrenkungen, tänzerische Gebärden und Wortkaskaden. Im Prinzip funktioniert sie als Turn- und Austobstätte einzeln und gruppenweise agierender jugendlicher Körper. Ihre Übungen - bescheiden deren Kunstwert - sind Akzidenz der Musik oder auch eine Art Beschäftigungsmodell.

Zwiefach entsetzlich der Schluss. Einmal das Stückende, nicht anders zu bezeichnen als ein Schwall, der nicht schließt, bevor die Engelein in ihren Nachthemden und alle übrigen wie in einem Händeloratorium aufgereiht dastehen und ihr monumentales Getöse den Besuchern in die Ohren setzen. Zum anderen der erwähnte Sturm des Beifalls, der in gewissem Sinn dem Sturme glich, den Walter Benjamin in seinem Text »Angelus novus« anführt, ein Sturm, der die Engel flügellos macht und jene Trümmer produziert, auf denen die Menschheit landete, würde dem »Fortschritt« nicht Einhalt geboten werden.

Mehr Jugendarbeit hat sich die Deutsche Oper mit ihrer Tischlerei auf die Fahne geschrieben. Dieser Flop sollte schnell vergessen werden.

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