Signal an Europa: Bau auf, bau auf

Politische Linke in Frankreich fordert nach Brexit-Votum »völlig andere Grundlagen«

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach dem britischen Brexit-Entscheid kann es kein »Weiter so« geben. Darüber ist sich Frankreichs Linke einig. Details bleiben offen.

Das Votum in Großbritannien für den Austritt aus der Europäischen Union ist für die französische Linke Anlass, sich zum Europaprozess zu positionieren. Selbst die Regierung kommt nicht umhin, den Ausgang des Referendums als Warnzeichen zu deuten. »Dieses Votum zeugt vom Unbehagen der Völker und ihren Zweifeln an Europa«, muss der sozialdemokratische Premierminister Manuel Valls einräumen. Doch je weiter nach links man blickt, umso schärfer werden die Einschätzungen.

»Europa, wie es heute ist, wird von den Völkern abgelehnt«, meint André Chasseigne, der Fraktionsvorsitzende der Linksfront aus Kommunisten und Partei der Linken in der Nationalversammlung. »Diese Misstrauensbekundungen gegen die EU dürfen nicht länger überhört und übergangen werden«, urteilt der Nationalsekretär der Kommunistischen Partei, Pierre Laurent. »Dass die Völker der EU den Rücken kehren, muss für die Regierungen Anlass sein, die Europäische Union auf völlig anderen Grundlagen neu aufzubauen. Die Zukunft Europas hängt davon ab.«

Laurent mahnt vor allem »mehr Demokratie« und »soziale Angleichung nach oben« an. Sollte sich nichts Wesentliches ändern, wäre dies ein deutliches Zeichen dafür, dass die Regierenden völlig losgelöst von den Realitäten sind. »Das Problem ist nicht, die Union, so wie sie heute ist, zu verlassen oder drin zu bleiben, sondern den Europaprozess von Grund auf zu ändern.«

Auch der kritisch zur PS-Führung eingestellte sozialistische Politiker Arnaud Montebourg, der deswegen als Minister abgesetzt wurde und dessen Parteiföderation dieser Tage aus Protest gegen die Politik der Regierung demonstrativ ihre Beziehungen zur Pariser Parteizentrale abgebrochen hat, geht scharf mit der Europäischen Union ins Gericht. »Die EU wurde gegen die Völker errichtet«, urteilt er. »Sie ist antidemokratisch und wurde um ein neoliberales Konzept herum aufgebaut.«

Der Brexit war Montebour zufolge voraussehbar. »Jedes Mal in den vergangenen 20 Jahren, wenn die Völker gefragt wurden, haben sie sich gegen diese Art des Europaprozesses geäußert.« Die »einem Wahn gleiche« Politik zur brutalen Senkung der Staatsschulden und die daraus resultierende Austeritätspolitik habe die Krise verlängert und habe schwerwiegende Folgen für die Menschen. »Deren Glaube an das Ideal Europas wurde gründlich zerstört.« Die EU sei wie ein Unternehmen, das vor dem Konkurs steht, so Montebourg. »Sie muss gründlich restrukturiert werden, sonst geht sie ein.«

Der Linksfrontpolitiker Jean-Luc Mélenchon, der als einziger Linker bereits seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl 2017 angemeldet hat, geht noch weiter. Er plädiert für eine Kündigung der EU-Verträge, um sie neu auszuhandeln und ein von Grund auf anderes »Europa der Völker« zu schaffen. Europa werde ein zentrales Thema seines Präsidentschaftswahlkampfes ein, kündigt Mélenchon an. Während ihm KP-Chef Laurent verübelt, dass er sich zum Kandidaten erklärt hat, ohne seine kommunistischen Linksfront-Partner zu konsultieren, und daher die Haltung der KP zu dieser Kandidatur von einer Mitgliederbefragung im Spätherbst abhängig macht, ist Laurents Vorgängerin an der Spitze der Partei, Marie-George Buffet, jetzt schon vorgeprescht und hat ihre Unterstützung für Mélenchons Kandidatur erklärt. Der kann nun triumphieren, denn damit dürfte seine Rechnung aufgehen, dass sich die Kommunisten mangels einer überzeugenden Alternative früher oder später hinter ihn stellen müssen.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal