Aus Euphorie wurde Ernüchterung

Das Atomabkommen mit Iran ist ins Wanken geraten: Ein Jahr nach seiner Unterzeichnung beklagen viele Regierungen im Nahen Osten einen wachsenden iranischen Einfluss; in Iran selbst ist ein Machtkampf im Gange. Von Oliver Eberhardt

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 8 Min.

Die Zukunft nach dem Abkommen mit dem Westen ist für Reza Moghisseh Vergangenheit: Auf dem Boden des Großraumbüros in einem gehobenen Geschäftshaus im Zentrum von Teheran stehen Kisten voller leerer Aktenordner; die Möbel wurden schon abgeholt. Vor einem Jahr, die Medien waren voll mit Nachrichten über die Einigung über das iranische Atomprogramm, hatte der 32-jährige Anwalt und Betriebswirtschaftler mit Uni-Abschlüssen aus Großbritannien, seine Geschäftsidee: »Mein Unternehmen sollte ausländischen Unternehmen dabei helfen, sich in diesem Labyrinth des iranischen Systems zurecht zu finden.«

Interessenten gab es viele; Kunden nicht: zu groß sind die Hürden auch heute noch, etwas mehr als ein Jahr nach der Unterzeichnung des Atomabkommens und etwas mehr als ein halbes Jahr nach der Aufhebung der auf das Nuklearprogramm bezogenen Sanktionen.

Nachdem Iran, die fünf ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates, Deutschland und die Europäische Union das Abkommen unterzeichnet hatten, als dann Iran im Januar alle Bedingungen erfüllt hatte, war die Euphorie groß: In Teheran gaben sich Konzernbosse die Klinke in die Hand; Präsident Hassan Ruhani reiste nach Europa und unterzeichnete Milliardenverträge. In die öffentliche Kritik am Abkommen, die darin besteht, dass Iran nun eben »nicht sechs Monate, sondern ein Jahr« brauchen werde, um die Bombe zu bauen, so beispielsweise Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu, mischten sich auch immer jene Stimmen, die betonten, dass damit auch »der Grundstein für eine politische Veränderung in Iran« gelegt sei, so Josh Earnest, Sprecher von US-Präsident Barack Obama, Ende Februar. Damals hatten die Reformer in Iran bei den Parlamentswahlen gewonnen.

Nur: »Davon ist im Abkommen keine Rede«, sagt Irans Parlamentssprecher Ali Laridschani, der an den Verhandlungen beteiligt war. »Wir haben nicht über einen politischen Wechsel verhandelt. Wenn jemand bestimmte politische Kräfte stützen möchte, dann muss er das auch so sagen, und es ist wahrscheinlich, dass es dann kein Abkommen gegeben hätte.« Die Erfolge der Reformer, dies war während der Wahl deutlich spürbar, waren vor allem auf den wirtschaftlichen Erwartungen aufgebaut. Doch diese Hoffnungen sind bis heute unerfüllt geblieben.

Denn bestehen blieben jene Sanktionen, die in den USA verhängt wurden, weil Iran noch immer dort als terroristisch eingestufte Organisationen wie die Hamas und die Hisbollah unterstützt. So kann ein iranisches Unternehmen beispielsweise nicht ohne Weiteres ein Konto bei einer europäischen oder amerikanischen Bank eröffnen; gleichzeitig müssen westliche Unternehmen in den USA mit sehr hohen Geldstrafen rechnen, wenn sie an den »falschen Geschäftspartner« geraten.

Und wer es dann doch geschafft hat, muss mit Schwierigkeiten in anderen Staaten rechnen: Vor allem Saudi-Arabien macht Unternehmen, die Geschäftsbeziehungen mit Iran unterhalten, das Leben extrem schwer, und die anderen Golfstaaten tun es dem großen Nachbarn gleich: In den Vereinigten Arabischen Emiraten sagt ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums offen, dass man sonst um die eigenen wirtschaftlichen Beziehungen zu Saudi-Arabien fürchten müsse.

Ebenso offen sagt man in Saudi-Arabien, dass es bei diesem Widerstand nur nachrangig darum geht, ob und falls ja wann Iran eine erste Atombombe fertigstellt: »Sehr viel gefährlicher ist die Unterstützung für terroristische Organisationen in der Region,« so der saudische Verteidigungsminister Mohammad bin Salman al-Saud. Aus seiner Sicht ist das erzkonservative Königreich Verteidiger westlicher Interessen im Nahen Osten.

Beispiel Jemen: Dort kämpft die Regierung von Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi mit Unterstützung einer Militärallianz unter Führung Saudi-Arabiens gegen Ansarallah (Huthi-Milizen), eine schiitische Organisation, die von Iran unterstützt wird. »Stellen sie sich einmal vor, am Bab al-Mandab würde tatsächlich ein Iran-freundliches Regime herrschen«, sagt Salman al-Saud.

Bab al-Mandab ist der arabische Name für jene nur wenige Kilometer breite Meerenge zwischen Djibouti und Jemen, die ein Schiff passieren muss, wenn es vom Roten Meer in den Indischen Ozean und umgekehrt fahren will. Dieses Nadelöhr ist damit die kürzeste Meeresverbindung zwischen Europa und Südostasien. »Iran hätte die Kontrolle über den Schiffsverkehr und damit auch über die militärische Handlungsfähigkeit der Vereinigten Staaten und Israels.«

Im Ausland sprechen saudische Diplomaten aber auch davon, dass diese Position des Königshauses dessen eigenem Überlebensdrang geschuldet ist: Das schwer ölabhängige Land hat zunehmend finanzielle Probleme, im Angesicht eines Abbaus von Sozialleistungen steigt der Unmut in der Bevölkerung. König Salman nutzt die Debatte über das Atomabkommen, das iranische Streben um Einfluss in der Region vor allem dazu, um sich Waffenlieferungen aus dem Ausland und Unterstützung im Inland zu sichern: »Wenn wir nicht wären, würde auf der Arabischen Halbinsel alles zusammenbrechen«, sagt ein Diplomat in einer westlichen Hauptstadt.

Ist ausgerechnet Saudi-Arabien damit auch Verteidiger israelischer Interessen? »Im Nahen Osten ist nach dem Atomabkommen alles möglich«, sagt ein hochrangiger Mitarbeiter des israelischen Außenministeriums: »Wenn es gegen Iran geht, gibt es keine Feindschaft mehr.«

Netanjahus zentrales Thema ist seit Jahren das iranische Nuklearprogramm; mehrmals erklärte er, eine Atombombe in der Hand Irans sei eine größere Bedrohung Israels als der Konflikt mit den Palästinensern. Israels Militär und Geheimdienste teilen seine Ablehnung des Abkommens, aber aus anderen Gründen: »Man hätte die Unterstützung für Hamas und Hisbollah berücksichtigen müssen,« sagt Meir Dagan, der bis 2011 Mossad-Chef war: »Es ist Iran, das diesen Organisationen die Möglichkeit gibt, Israel jederzeit zum Stillstand zu bringen.«

Denn das islamische System in Iran bezieht einen Großteil seiner Existenzberechtigung nach innen aus der Ablehnung Israels, aus der sich auch die Unterstützung für die aus der sunnitischen Muslimbruderschaft hervor gegangene Hamas ableitet, und dem Führungsanspruch über die schiitischen Muslime. »Für jeden Muslim muss das iranische Regierungssystem als Ideal gelten«, sagt Ahmad Dschannati, Vorsitzender des Wächterrates, der Kandidaten für öffentliche Ämter und neue Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit der in Iran vorherrschenden Religionsauslegung überprüft. Dschannati ist ein Konservativer, ein Gegner des Atomabkommens: »Dieses Abkommen ist schädlich für Iran, es schwächt unsere Position in der Region.«

Andere Konservative werden deutlicher, kritisieren, dass in der Folge die militärische und finanzielle Unterstützung von Gruppen wie der Hamas und der Hisbollah zumindest zeitweise zurückgefahren wurde: »Wir verprellen damit unsere besten Verbündeten in der Region,« sagt der ehemalige Spitzenkandidat Gholam Ali Haddad Adel, der bei der Parlamentswahl Ende Februar als Führungskraft der Liste der Konservativen antrat, und dabei seinen Parlamentssitz an einen Reformer verlor.

Doch der geistliche Führer Irans, Ajatollah Ali Khamenei, hat sich auf die Seite der Abkommensbefürworter gestellt, allerdings, wie Reformer um Präsident Ruhani vermuten, mehr notgedrungen: Sein Führungsanspruch stützt sich auf ein Netz aus Verbündeten, die einen Großteil der Wirtschaft, die Revolutionsgarden, die Justiz und den Wächterrat kontrollieren, der zur Hälfte von Khamenei ernannt wird. Die internationalen Sanktionen trafen vor allem diese Personen, was dann dazu führte, dass man sich für ein Abkommen stark machte. Aber vom Ringen um Einfluss in der Region will man trotzdem nicht lassen.

Dabei sind es nicht allein emotionale Gründe, wie sich am Beispiel der Hisbollah zeigt: Sie ist zur stärksten politischen Kraft in Libanon aufgestiegen, kämpft in Syrien auf Seiten von Präsident Baschar al-Assad. Die Frage, ob der Islamische Staat auch auf Iran übergreifen könnte, wird bei iranischen Politikern aller Couleur gerne und oft diskutiert. »Wenn wir jetzt die Unterstützung für die Hisbollah einstellen würden, könnte niemand sagen, was morgen sein wird«, sagt ein Mitarbeiter von Präsident Ruhani, der sich offiziell dafür einsetzt, das Engagement in der Region zurückzufahren: »Diese Gruppierungen können niemals vollständig kontrolliert werden; wir müssen immer eine Situation befürchten, die den Interessen unserer Bürger schadet.« Doch sein Mitarbeiter sagt auch deutlich, dass man die Unterstützung nicht einfach einstellen kann: »Wir bräuchten dann eine völlig neue Außenpolitik.« Gleichzeitig sind die personellen Verflechtungen von Hisbollah, Ansarallah und den Revolutionsgarden im Iran immens; der Hass auf Israel ist ungebrochen. Auch Politiker, die dem Reformerlager zugeordnet werden, erklären immer wieder, Israel müsse zerstört werden, während sich Ruhani selbst gerne an Seite der Funktionäre der jüdischen Gemeinschaft in Iran zeigt.

»Eine Aufhebung der restlichen Sanktionen wird es erst geben, wenn Iran nachhaltige Bemühungen im Kampf gegen den Terror zeigt«, sagt Mitch McConnell, Mehrheitsführer der Republikaner im US-Senat, und der demokratische Senator Harry Reid stimmt ihm zu: »Die Sicherheit Israels steht für uns stets im Vordergrund, und wenn ich sehe, dass Iran auch nach dem Abkommen Mittelstreckenraketen getestet hat, die mit Atomsprengköpfen ausgerüstet werden können, dann muss ich sagen, dass es noch ein weiter Weg ist.« McConnell fordert indes, das Abkommen komplett aufzukündigen: »Es funktioniert nicht. Iran kann immer noch jederzeit eine Bombe bauen; es dauert nur etwas länger, und wir erfahren etwas früher davon.«

Eine ähnliche Drohung kommt aus Teheran: Vizepräsident und Atomchef Ali Akbar Salehi forderte nun die sofortige Aufhebung aller Sanktionen; man könne das Atomprogramm jederzeit wieder aufleben lassen. Gleichzeitig schwindet die Unterstützung für Ruhani und die Reformer rasant.

Im kommenden Jahr stehen in Iran die nächsten Präsidentschaftswahlen an; zudem ist die Debatte um die Nachfolge des mittlerweile 76 Jahre alten und an Krebs erkrankten Khamenei in vollem Gange. Die Unterstützer des Abkommens hoffen darauf, dass Ruhani wiedergewählt wird, und Khameneis Nachfolger im Fahrtwind des Abkommens moderater sein wird.

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