Das finstere Europa

Drago Jancar: Sein Roman »Der Galeerensträfling« thematisiert den Kampf des Einzelnen gegen äußere Zwänge

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 3 Min.

Drago Jančars im slowenischen Original bereits 1978 erschienener Roman »Der Galeerensträfling« kam auf Deutsch schon einmal Anfang der 1990er Jahre unter dem Titel »Der Galeot« heraus. Nun liegt eine neu durchgesehene Ausgabe des fulminanten historischen Romans vor. Damals glaubten manche, in dem von der Geschichte zerrissenen Helden Johannes Ott, der durch ein chaotisches und gewalttätiges Europa im 17. Jahrhundert irrt, eine Analogie zum Jugoslawienkrieg zu sehen. Dabei dürfte Jančars überaus drastisch und dicht erzählter Roman über einen Menschen, der den politischen Mächten auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist und dabei dennoch versucht, seine Eigenständigkeit zu bewahren, auch Ausdruck eigener Erfahrungen mit staatlicher Obrigkeit sein, nachdem der 1948 geborene Autor Mitte der 70er kurze Zeit inhaftiert wurde.

Das Spannungsfeld zwischen dem um seine Unabhängigkeit kämpfendem Individuum und einem repressiven Herrschaftsapparat zieht sich durch Jančars literarisches Werk und findet sich auch in dem zuletzt 2011 auf Deutsch erschienen düsteren Roman »Nordlicht« um einen Handlungsreisenden, der am Vorabend des zweiten Weltkriegs in der slowenischen Stadt Maribor strandet, wo er ebenso mit eigenen Ängsten wie dem drohenden Faschismus konfrontiert wird.

In »Der Galeerensträfling« wird Johannes Ott, der durch Österreich und Norditalien zieht, immer wieder von unheilvollen Ahnungen heimgesucht. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, zur hohen Zeit von Hexenverfolgung und radikalen religiösen Bewegungen, gerät der Einzelgänger Johannes Ott bald in die Fänge der staatlichen Verfolgungsbehörden. Er wird der Ketzerei angeklagt, gefoltert, verurteilt, entkommt aber im letzten Moment dem Scheiterhaufen und wird Mitglied einer widerständigen religiösen Gruppe, die gegen die staatliche Obrigkeit opponiert. Nach einiger Zeit taucht er aber wieder ab, versucht sein Glück als Kaufmann, landet wegen einer Verwechslung als Strafgefangener auf einer venezianischen Galeere und schlägt sich am Ende auf der Flucht durch ein von der Pest heimgesuchtes Norditalien und Österreich.

Der gut recherchierte und akribisch erzählte Roman taucht tief in die Geschichte ein. Drago Jančar entwirft ein breites Panorama frühneuzeitlicher Kultur. Das reicht vom festen Glauben an die Existenz von Hexen und Zauberei über aufrührerische Geheimbünde bis hin zum Leben der städtischen Eliten. Drago Jančar beschreibt aber auch detailliert die Folter von der Daumenschraube bis zum qualvollen Ertränken. Breiten Raum nimmt der Umgang mit der Pest ein, bei dem absurde Hygienemaßnahmen wie das Einschmieren mit Knoblauch und Wein, sowie das Räuchern mit Wacholder und eine brutale Quarantäne zum Einsatz kommen. Aber auch das repressive Rechtssystem und die unfassbare Brutalität, unter der die Galeerensträflinge zu leiden hatten, thematisiert der Autor in diesem stark sozialkritisch geprägten historischen Roman.

Das alles ist nicht nur überaus spannend erzählt, es bietet auch einen eindrucksvollen Blick in die finstere Geschichte jener abendländischen Kultur, die von manchem Reaktionär (auf Pegida-Demonstrationen) in letzter Zeit so gerne als zu verteidigendes Erbe ins Feld geführt wird.

Europas Geschichte besteht in Jančars historischem Horrorpanoptikum vor allem aus massenhafter Gewalt gegen Frauen, einer absurd grausamen Staatlichkeit und einer Gesellschaft, in der Menschenleben nichts zählen außer der Verwertung als Arbeitskraft. Gleichzeitig ist »Der Galeerensträfling« eine zeitlose Allegorie auf den erbitterten Kampf des Individuums gegen äußere Zwänge.

Drago Jančar: Der Galeerensträfling. Roman. Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof. Folio Verlag, 341 S., geb., 19,90 €.

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