Gegenwartsvergessen

Hintergründe zur Berliner Ausstellung »Gegenstimmen - Kunst aus der DDR 1976 bis 1989«

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 6 Min.

Geschichtsvergessenheit ist fatal. Der allzu gegenwartsbezogene Mensch vergisst, woher er kam. Er hat es schwer, den rechten Weg in die Zukunft zu finden. Im Grunde ist das eine bedauernswerte, weil eindimensionale Weltauffassung. Was aber, wenn es umgekehrt ist? Was sollen wir von Leuten halten, die von in frühen Jahren Erlebtem nie loskommen? Die eine Zeit idealisieren, in der sie noch aufbegehrten gegen Gewalt und Unrecht? Doch das Leben geht weiter. Was dann? Die Sicht zumal auf künstlerisches Tun, welches Jahrzehnte zurückliegt, kann sich durchaus verändern. Die Entwicklung kennt kein Erbarmen. Sie setzt neue Prioritäten. Immer wieder dieselben Frontstellungen, wenn es längst andere Gegensätze gibt?

Das Land DDR ist untergegangen. Seine Kunst lebt weiter. Je weniger sklavisch sie sich an dessen Vorgaben hielt desto mehr. Wer will entscheiden, welche Kunst heute noch zu gelten hat und welche nicht? Die da gehen mussten oder wollten, setzten fort, was sie zuhause begannen. Mit Grenzübertritt eine Klasse besser zu werden, darauf hofften nur kleine Geister. Wer fernerhin kritisch blieb, spielt heute noch mit. Wie Hans-Hendrik Grimmling, der meint: »Da bleibt mein Platz zwischen den Stühlen, auch wenn es sich um Designermöbel handelt.«

Institutionen, die programmatisch der Einheit Deutschlands verpflichtet sind, veranstalten im Jahr 2016 eine Ausstellung, die »Gegenstimmen« heißt. Die »Deutsche Gesellschaft e.V.« wurde 1990 eine so ehrenwerte Gründung, wie es die »Bundeszentrale für politische Bildung« immer schon war. Da gilt es dem Erbe Willy Brandts und Egon Bahrs gerecht zu werden, die sich bei beiden Projekten engagierten. Aggressiv dagegen die medialen Fanfaren, welche diese Ausstellung begleiten. Der Sender RBB tönt von »Bildern vom Kampf mit der Macht«. Der Sender MDR weiß es genau: »Kunst in der DDR war mehr als Bitterfelder Weg und Staatskunst à la Sitte« und feiert widerständige Kunst »zwischen Wut, Aufbegehren und Melancholie«. Abgegriffene Vokabeln für eine hochdifferenzierte Kunst.

Kein Zweifel daran, dass Kunst in der DDR Höchstleistungen zu bieten hat. Ja, kritische Positionen von Zweifel und Enttäuschung bis zu radikalen Gegenentwürfen brannten in den 1980er Jahren auf den Nägeln. Aus diesem Konflikt entstand große Kunst. Kurator Christoph Tannert will dazu eine »Wahrnehmungslücke in der westdeutschen Öffentlichkeit schließen.« Recht hat er. Aber wie? Leider wird da eine Phantom-Antiwelt aufgebaut. Schade drum, wenn man Tannert als heiter-philosophischen Redner kennt, und er formuliert nun diffus: »Abstandshaltungen und die Versuche der Distanznahme zum DDR-Machtapparat hatten vielerlei Kunst-Gestalt«. War Kunstmachen denn eine Machtfrage? Warum dann aus dem Vielerlei komplexer Lebenswerke nur den kontroversen Ausschnitt zeigen?

Die Zugabe von Schriftzeilen mit platten Zitaten von DDR-Phrasen oder eines Mini-Videos vom senilen Mielke-Statement vor der letzten Volkskammer soll ironisieren, wirkt jedoch eher kunstfremd propagandistisch: Seht, so blöd waren die damals offiziell. Es ist unfair, das schöpferische Umfeld auszublenden, aus dem alle hier gezeigten Kunstwerke kamen. Es war eine vitale Kunstszene, welche die Staatsmacht in den 1980er Jahren vergeblich zu beherrschen suchte. Viele hier gelobte oppositionelle Aktivitäten, wie die Berliner Galerie »Weißer Elefant«, kamen aus dem Künstlerverband selbst.

Die beigegebenen schriftlichen Äußerungen sprechen für sich: Angela Hampel wird mit einer kritischen Rede auf dem letzten Verbandskongress 1988 zitiert. Top. Eine ihrer Kolleginnen berichtet von einer Studienreise nach Düsseldorf im selben Jahr, auf der sie Cy Twombly entdecken durfte. Anschließend folgt sie malerisch sofort dieser Anregung, wird aber dafür kritisiert, dass sie leider zwanzig Jahre Zurückliegendes verarbeitet. Top. Peter Hermann macht sich über pedantische Juroren von 1967 lustig, die in den 1980ern längst ganz souverän entschieden. Top. Wasja Götzes Stasi-Überwachung ist als schwarzer Schatten auf dem ausgestellten Bild sichtbar gemacht. Top. Das Böse erscheint banal.

Und das im Jahr 2016. Da wird ein Jubiläum gesucht, und auf wunderbare Weise das Jahr 1976 erinnert, in dem Wolf Biermanns Ausbürgerung den bekannten Skandal auslöste. Nun wird der inzwischen zu völlig anderen politischen Positionen Konvertierte als Auslöser all dieser bildkünstlerischen Dissidenz gefeiert. Kenner der Szene wissen es anders. Diejenigen, die sich für den aufmüpfigen Barden in die Bresche warfen, kamen aus der Literaturszene und dem Theater-und-Film-Milieu. Jurek Becker und Manfred Krug mobilisierten ihren ultra-prominenten Bekanntenkreis, der dann das perverse Strafgericht des Politbüros auf sich zog.

Von den nicht gefragten bildenden Künstlern gab es keine Unterschrift für Biermann. In den Augen der Mächtigen hatten diese urplötzlich einen Bonus. Die Geschichte wimmelt von Paradoxen: So wurden sie mit vorher ungekannter Reisefreiheit belohnt. Eine kostengünstige Entscheidung, denn die Studienreisen ins »nichtsozialistische Währungsgebiet« wurden aus dem Erlös lukrativer Verkäufe attraktiver Kunstwerke dorthin ermöglicht. Was zum Beispiel Sammler Ludwig in Devisen bezahlte, kam im Geldbeutel der Angekauften zu 85 Prozent in Mark der DDR an. Das entstehende Devisenguthaben kassierte jedoch nicht der »Machtapparat«. Es floss in einen »B-Fonds«, aus dem der Künstlerverband die Reisespesen aller anderen Reisenden finanzierte. Für Reisen, von denen es häufig keine Wiederkehr gab, wie die Biografie mancher Ausstellenden zeigt.

Die »westdeutsche Öffentlichkeit« wurde leider von diesem hübschen Krimi bislang noch nicht in Kenntnis gesetzt. Wer sich dafür interessieren sollte: Noch publikumswirksamer wird die Story, wenn man weiß, dass die viel feinsinnigere Dissidenz hinter den Kulissen stattfand. Denn eine absolute Randfigur der bildenden Kunst, der zeichnende Witzbold Willy Moese war der eigentliche Übeltäter gewesen. In seiner Wohnung in Berlin-Kaulsdorf trafen sich dessen Freunde Becker und Krug, von dort ging alles aus. Dabei war Moese wie seine anderen Karikaturistenkollegen durchaus kein Biermannfreund. Der Humorist zog es vor, auf seine Weise in Zeichnungen und Objekten sarkastische Bildfindung zu betreiben.

Während seine Frau Maria Moese ihren Job als beliebte Fernsehansagerin verlor, legte er erst richtig los. Ein Dreivierteljahr nach der Biermann-Affäre wurde die VIII. Kunstausstellung der DDR in Dresden eröffnet. Erich Honecker höchstpersönlich erschien im dort breit angelegten Karikaturenkabinett, schritt schnurstracks auf Willy Moeses neuestes Opus zu, und rief freudestrahlend: »Das ist die Schreibmaschine, auf der ich schreiben gelernt habe«. Der Gag der Karikatur bestand ironischerweise darin, dass sich mit den einzigen vorhandenen drei Buchstaben B, L und A nur Bla-bla-Texte verfassen ließen.

Konnte es einen glänzenderen Triumph des witzgewandten Narren über den tumben Herrscher geben? Vertan und vergessen ist heute solcherart kritische Kunst. Und Makolies und Scheib, Grimmling und Wendisch, Stangl und Sandner, Schleime und Butzmann, all deren großartige im Gropiusbau gezeigten Bilder und Skulpturen - sollen sie wirklich nur noch als Zeugnisse der Frontstellung gegen ein verhasstes Regime dienen?

Martin-Gropius-Bau Berlin, Bis 26.9.; www.gropiusbau.de

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