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Kopftuchverbot ist rechtswidrig

EuGH-Generalanwältin

  • Lesedauer: 3 Min.

Die Entlassung einer Muslimin durch einen privaten Arbeitgeber wegen ihres Kopftuchs kann nach Ansicht der Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof (EuGH) Eleanor Sharpston rechtswidrig sein. In einem aktuellen Fall aus Frankreich befand sie, dass die betroffene Projektingenieurin unmittelbar wegen ihrer Religion benachteiligt worden sei, wie der EuGH in Luxemburg am 13. Juli 2016 (Az. C-188/15) mitteilte.

Es gebe keinen Hinweis darauf, »dass sie, weil sie den islamischen Schleier trug, in irgendeiner Weise ihre Aufgaben als Projektingenieurin nicht wahrnehmen konnte«, heißt es in den Schlussanträgen der Generalanwältin. Die Schlussanträge bilden einen unabhängigen Entscheidungsvorschlag für die Richter des EuGH. Das Urteil folgt einige Monate später.

Worum geht es in dem zweiten Streitfall?

Asma Bougnaoui hatte nach Schilderung des EuGH von Mitte 2008 an für eine französische IT-Firma als Projektingenieurin gearbeitet. Sie trug dabei einen Hidschab, der Haar und Nacken bedeckt, aber das Gesicht freilässt.

Zu den Aufgaben der Ingenieurin gehörten Kundenbesuche. Dabei soll sich eine Kundenfirma über die Bekleidung beschwert und verlangt haben, dass es »nächstes Mal keinen Schleier« geben möge, wie es in den Schlussanträgen unter Berufung auf Bougnaouis ehemaligen Arbeitgeber heißt. Dieser forderte von ihr, das Kopftuch beim nächsten Besuch nicht zu tragen. Wegen ihrer Weigerung wurde sie im Juni 2009 entlassen.

Das EU-Gesetz und die eng auszulegenden Ausnahmen wegen Diskriminierung

Nachdem die Frau in Frankreich geklagt hatte, bat ein französisches Gericht den EuGH um Klärung. Denn der Fall berührt ein EU-Gesetz. Dieses verbietet die Diskriminierung am Arbeitsplatz zum Beispiel aufgrund des Alters, der Hautfarbe und der Religion. Es erlaubt aber Ausnahmen, insbesondere wenn es um wesentliche und entscheidende berufliche Anforderungen geht.

Solche Ausnahmen seien allerdings eng auszulegen, erklärte die Generalanwältin Sharpston. Gute Gründe sind demnach Gesundheit und Sicherheit. So sei es in Ordnung, Frauen manche muslimischen Kleidungsstücke zu verbieten, wenn sie an bestimmten gefährlichen Maschinen arbeiteten. Ebenso dürfte männlichen Sikhs ihr Turban untersagt werden, wenn sie einen Helm tragen müssten. Die Generalanwältin erkannte zwar an, dass die IT-Firma möglicherweise Nachteile durch Bougnaouis Verhalten erleide. Diese wögen aber eine religiöse Diskriminierung nicht auf.

Wie wurde in einem früheren Kopftuchverbotsfall geurteilt?

Erst im Mai hatte Sharpstons Kollegin, die deutsche EuGH-Generalanwältin Juliane Kokott, in einem ähnlichen Fall ein Kopftuchverbot für generell rechtens erklärt (Az. C-157/15).

Dabei ging es um eine Muslimin, die bei einer Firma für Sicherheits- und Empfangsdienste in Belgien arbeitete und wegen Kopftuchtragens entlassen wurde. Die Generalanwältin Kokott sah eine religiöse Diskriminierung als gegeben an. Diese könne aber »gerechtfertigt sein, um eine vom Arbeitgeber im jeweiligen Betrieb verfolgte legitime Politik der religiösen und weltanschaulichen Neutralität durchzusetzen«.

Zwar handelt es sich um unterschiedliche Fälle aus verschiedenen Ländern. Davon abgesehen scheinen die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston die Religionsfreiheit zumindest in einer Hinsicht stärker zu betonen. Kokott hatte zwischen Religionsausübung und Merkmalen wie Hautfarbe und Geschlecht unterschieden. Während man letztere im Berufsleben nicht gleichsam an der Garderobe abgeben könne, dürfe dem Arbeitnehmer »bezüglich seiner Religionsausübung am Arbeitsplatz eine gewisse Zurückhaltung zugemutet werden«. Dagegen heißt es in den Schlussanträgen Sharpstons, dass für einen Gläubigen die Religion integraler Bestandteil des ganzen Lebens sei. Darum wäre »die Annahme gänzlich verfehlt, dass zwar das Geschlecht und die Hautfarbe jeden Menschen überall hin begleiten, seine Religion jedoch nicht«. epd/nd

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