Schleppende Verfahren und einseitige Ermittlungen

Rechte Gewalttaten werden selten aufgeklärt. Immerhin erkennen Gerichte inzwischen häufiger Rassismus als Tatmotiv an

  • Tim Zülch
  • Lesedauer: 3 Min.

26 Ermittlungsverfahren leitete die integrierte Ermittlungseinheit Sachsen, kurz Ines, in den letzten zwölf Monaten gegen die Straftäter von Heidenau ein - verurteilt wurden nur wenige. Dies geht aus der Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage hervor. Zwei Täter wurden zu Haftstrafen knapp über einem Jahr verurteilt, einer wegen Landfriedensbruch, ein anderer wegen Beleidigung. Zwei Verfahren wurden eingestellt. Zwei Angeklagte kamen wegen Zeigens verfassungswidriger Symbole mit einer Geldstrafe davon.

Trotz dieser Bilanz ist Andrea Hübler von der Opferberatung der Regionalen Arbeitsstelle für Ausländerfragen in Sachsen bisher zufrieden. »Durch die Einrichtung der Ermittlungseinheit verlaufen die Verfahren vergleichsweise schnell«, sagte sie dem »nd«. Während es im Bezug auf Heidenau bereits nach wenigen Monaten Urteile gab, »warten wir sonst schon mal vier Jahre auf ein Urteil«, so ihre Erfahrungen, die sie in der Opferberatung und bei Prozessbegleitungen sammelte. Verzögerungen sind ein großes Problem, denn »wenn die rechten Straftäter merken, dass sie zwei Jahre lang noch nicht mal angeklagt werden und dann Verfahren wegen der langen Dauer eingestellt werden, ist das für sie eher eine Bestärkung und für die Opfer, die wir begleiten, ein Hohn«, so Hübler.

Im vergangenen Jahr sind die Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte bundesweit massiv gestiegen - laut der Statistik des Bundeskriminalamtes von 199 im Jahr 2014 auf 1005 im vergangenen Jahr. Zahlen, die nach Recherchen der Amadeu-Antonio-Stiftung sogar noch zu niedrig angesetzt sind. Die Stiftung zählte zusammen mit Pro Asyl 1239 Übergriffe im letzten Jahr, darunter 184 körperliche Angriffe mit 288 Verletzten. Besonders erschreckend ist nach Recherchen der Stiftung, dass nur sehr wenige der Täter ermittelt und verurteilt werden.

Zusammen mit dem Magazin »Stern« recherchierte die Stiftung die Zahl der wegen Übergriffen gegen Asylsuchende Verurteilten aus den Jahren 2013 und 2014. Danach konnte bei 87 Straftaten nur knapp ein Viertel der Täter ermittelt werden, 17 Täter wurden verurteilt, sechs landeten in Haft. Das seien »niederschmetternde Zahlen«, urteilt die Sprecherin der Amadeu-Antonio-Stiftung, Sofia Vester, im Gespräch mit dem »nd«.

Nach den Erfahrungen von Heike Kleffner, Mitarbeiterin der Opferperspektive in Sachsen Anhalt, hat die mangelnde Aufklärungsquote oft damit zu tun, dass sich die Polizeiarbeit vor Ort »problematisch« gestalte. So seien ihr Gerichtsverfahren zu rechten Gewalttaten bekannt, bei denen im Vorfeld lediglich die Täter, nicht aber die Opfer von der Polizei befragt wurden. In einem Fall sei eine Person, die der Brandstiftung verdächtigt wurde, auf freiem Fuß geblieben. Deshalb habe der Mann Handydaten löschen können. Generell würden bei polizeilichen Ermittlungen zu Brandstiftungen die Nachbarn außen vor gelassen. Dementsprechend würden niedere Beweggründe wie Rassismus vor Gericht sehr selten als Motivation für eine Tat herangezogen.

Für Sofia Vester liegt ein Gutteil der Gründe für die niedrigen Aufklärungsquoten auch in der Planung von Flüchtlingsunterkünften. So seien nach wie vor viele Flüchtlingsheime in Gewerbegebieten oder an Ausfallstraßen gelegen. Das würde einerseits Täter ermuntern, dort anzugreifen. Andererseits werde die Aufklärung der Taten erschwert, weil oft Zeugen fehlten. »Die frühzeitige Einbindung von kommunaler Verwaltung und Vereinen bei der Planung von Unterkünften kann wichtiger Bestandteil zur gelungenen Integration von Geflüchteten sein und somit auch deren Schutz verbessern«, betont Vester.

Trotz der nach wie vor extrem niedrigen Aufklärungs- und Verurteilungsquoten habe sich das Bewusstsein von Polizei, Politikern und Richtern vor Ort im Hinblick auf rechte Straftäter verbessert, meint Heike Kleffner: »In den 1990er Jahren herrschte hier quasi Straflosigkeit.«

Andrea Hübler von der Opferberatung der Arbeitsstelle für Ausländerfragen bestätigt das. »Die Sensibilität in der Politik und auch bei Richtern ist angestiegen.« Dennoch gilt laut Kleffner die bittere Erkenntnis: »Für die Opfer ist eine Verurteilung wichtig, aber die rechten Täter kommen aus dem Knast oft besser organisiert raus, als sie reingegangen sind.«

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