Ich frage ja nur
»Geht’s oder soll ich helfen?«
Ich habe ihr ein paar Minuten zugeschaut, wie sie sich abmüht, den Koffer auf dem Gepäckträger zu befestigen. Ich habe dabei eine Zigarette geraucht und überlegt, ob ich meine Hilfe anbieten soll oder nicht. Ich müsste es tun, weil ich ja ein Mann bin und Männer bieten Frauen immer Hilfe an. Oder, um die altbackenen Rollenbilder mal wegzulassen - ich bin ein anderer Mensch, der sich mit ihr draußen befindet. Oder anders gesagt - sie ackert und ich bin nicht wirklich beschäftigt. Ein Umstand, an dem ich was ändern sollte. Dabei klingt meine Frage überheblich. Das »soll ich« hört sich an, als könnte ich helfen, dabei ist das gar nicht klar. Gut möglich, dass ich es auch nicht schaffen werde, den Koffer mit den Gummibändern auf dem Gepäckträger zu befestigen. Besser wäre es gewesen, ich hätte gefragt: »Geht´s, oder soll ich mal versuchen?« Wenn es dann nicht klappt, kann sie mir keinen Vorwurf machen. Ich könnte dann resignierend sagen »Tja, da musst du wohl den Koffer in die Hand nehmen« und zurückgehen auf meinen Platz, wo ich mich darüber ärgere, dass ich nicht einmal so banale Sachen hinbekomme.
Vielleicht will sie meine Hilfe auch gar nicht. Vielleicht ist sie eine von diesen modernen Frauen, die es anmaßend finden, wenn ein Mann seine Hilfe anbietet. Vielleicht sagt sie dann etwas Schreckliches und ich bin peinlich berührt. Die Situation ist ohnehin schon unangenehm, denn bislang hat sie mir keine Antwort gegeben. Womöglich war ihr Schweigen schon die Antwort. »Verpiss dich«, wird sie wohl damit meinen.
Warum gibt sie mir keine Antwort? Ich habe doch nichts Schlimmes gesagt. Nur meine Hilfe angeboten, egal, ob mit den richtigen oder den falschen Worten. Sie weiß meine Hilfe gar nicht zu schätzen, ist womöglich schlecht gelaunt oder generell unfreundlich. Eine Schreckschraube, die glaubt, alles richtig zu machen, und gerade deshalb alles falsch macht. Dann kann sie sich um ihre Sachen auch alleine kümmern.
Ich kann mir ja auch einreden, dass ich sie nicht bemerkt habe. Auf dem Mittelstreifen fährt eine Straßenbahn vorbei mit einer spannenden Werbung und die Joggerin, die gerade vorbeigelaufen ist, hat eine tolle Figur. Ach, da hinten auf dem Fahrrad fährt gerade mein ehemaliger Deutschlehrer vorbei. Und am Himmel, was sehe ich da, eine Mondfinsternis, die gibt es auch nicht alle Tage.
»Nein, danke. Ich komme schon klar«, höre ich es plötzlich von ihr. Ich schaue hin. Der Koffer ist eins a auf dem Gepäckträger befestigt. »Super«, rufe ich. Jetzt kann ich mit einem guten Gewissen reingehen und die Sache auf sich beruhen lassen.
»Eine Frage hätte ich aber«, höre ich es jetzt von ihr. Ich drehe mich zu ihr um. »Weißt du zufällig, welcher Idiot sein Fahrrad an meins angeschlossen hat?«
Oje, denke ich, und fange an zu schwitzen. Jetzt stecke ich in der Klemme.
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