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Science-Fiction verkommt zum Kriegsfilm

Sci-Fi-Serien und -Filme verkleiden sich als mit High-Tech-Schi-Schi ausgestattete Kriegsfilme, obwohl das Genre viel mehr zu bieten hat

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 6 Min.
Der amerikanische Sci-Fi-Film ist auch nur die Fortsetzung des Westerns mit anderen Mitteln.
Der amerikanische Sci-Fi-Film ist auch nur die Fortsetzung des Westerns mit anderen Mitteln.

Wird 2025 ein guter Science-Fiction-Jahrgang? Zumindest im Streamingbereich wird diesen Frühling ein ganzer Blumenstrauß unterschiedlichster Geschichten aus der Zukunft serviert. In der Serie »Families like Ours« des Dogma-Regisseurs Thomas Vinterberg säuft Dänemark klimabedingt ab, die neueste Staffel »Black Mirror« bietet eine Fortsetzung der preisegekrönten Episode »USS Callister« über einen sadistischen Tech-Nerd, und Disney erzählt in »Andor 2« weiter von der revolutionären Subjektwerdung des titelgebenden Helden, der gegen Faschismus und Imperialismus kämpft.

Science-Fiction liegt im Trend. Nach dem Hype um die »Dune«-Filmreihe rief die »FAZ« im vergangenen Frühling die Science-Fiction gar als »Genre der Stunde« aus, obwohl gerade in Deutschland wissenschaftsfiktionale Geschichten aus der Zukunft Stiefkind des hochkulturverliebten Feuilletons bleiben. Ein Wunder ist der globale Science-Fiction-Boom nicht, wird doch gerade in Krisenzeiten die Zukunft kritisch gebrochen, sei es als Dystopie, oder es werden eher selten utopische Potenzialitäten ausgelotet.

Aber dass das Ende der Welt, das in dem Genre geradezu manisch inszeniert wird, »sich in die Länge zieht« und vom Weltuntergang zur Apokalypse und immer wieder zum Weltuntergang zurückgeht, wie es unlängst im posthum aufgeführten Pollesch-Stück »Der Schnittchenkauf« hieß, führt trotz bildgewaltiger Narrative zu Langweile. In dieser immer wiederkehrenden Inszenierung des Weltuntergangs – sei es als Klimawandel-Dystopie, das planetare Leben auslöschender Meteoriteneinschlag oder Zombie-Schocker – machte Philosoph Guillaume Paoli zuletzt in »Geist und Müll« die Sehnsucht nach dem drastischen Bruch mit der krisengeschüttelten Gegenwart aus.

Im Kampf um Quoten versinkt das Science-Fiction-Genre regelmäßig im bellizistischen Geballer.

Was diese Analysen kaum reflektieren, ist die Art und Weise, wie diese dystopischen Zukunftsentwürfe gestrickt sind. Zumeist verkommt die zeitgenössisch in Film und Serie inszenierte Science-Fiction zum Kriegsfilm 2.0. Das zeigt auch der neue Mega-Blockbuster »Electric State« auf Netflix, mit 300 Millionen Dollar die bisher teuerste Eigenproduktion des Streamingdienstes.

Der zugrunde liegende Bildroman von Simon Stalenhag ist ein ruhiges Pop-Art-Bilderbuch mit Textfragmenten, das vom Roadtrip durch ein von Krieg zerstörtes Amerika erzählt. Action gibt es hier kaum. In der Filmadaption der Russo-Brüder, die schon für Marvel Multimillionen-Dollar-Budgets als krawallige Spektakel umsetzten, wird die Handlung von »Electric State« durch Action und Schusswaffeneinsatz vorangetrieben. Die weibliche Hauptfigur bekommt als Sidekick einen in der Gegend herumballernden jungen Mann, den es in der Romanvorlage nicht gibt. Der narrative Minimalismus Stalenhags wird durch launige Gewaltdarstellungen kompensiert. Im Kampf um Quoten versinkt das Science-Fiction-Genre regelmäßig im bellizistischen Geballer.

Die Mehrheit der filmischen SF-Geschichten, etwa auch die von der Kritik gefeierte »Dune«-Reihe kommt als waffenstarrender Kriegsfilm daher. Das gilt auch für die Serie »Andor«, wenngleich diese in der Tradition einer linken Science-Fiction steht. Die zuletzt vom Disney-Konzern gecancelte »Star Wars«-Spin-off-Serie »Acolyte«, die rechten Incels zu feministisch und divers war, verzichtete auf die sonst übliche bellizistische Grundierung. Vielleicht brachte das auch die rechten »Star Wars«-Fans auf die Barrikaden.

Aber woher kommt die Fixierung der Kulturindustrie auf militarisierte Zukunftsvisionen? Zum einen hat das sicher mit den hohen Budgets der Produktionen zu tun. Die müssen sich rechnen. Ein an den Kinokassen floppender Science-Fiction-Film reißt gewaltige finanzielle Löcher. Die mögliche Fallhöhe für Produktionsfirmen und Studios ist groß. Gewalt und die Reproduktion männlicher Heldenposen verkaufen sich einfach gut, wie auch diverse andere Action-Filme von »James Bond« bis »Fast and Furious« zeigen.

Die bellizistische Komponente dürfte also auch an einer konservativen Finanzplanung liegen, die auf Erprobtes setzt. Gutes Beispiel ist der für seine urbane SF-Ästhetik berühmte Film »Blade Runner« von Ridley Scott. In der literarischen Vorlage Philipp K. Dicks ist die Hauptperson Decker ein verunsicherter Beamter, der um seinen sozialen Status bangt und ihn mittels Konsumgütern zu kompensieren versucht. Im Film wird mit Harrison Ford daraus ein cooler männlicher Held, der mit Knarre durch Los Angeles läuft. Ein Stück weit reproduziert der Film eine Tendenz, die vor allem der US-amerikanischen SF immer wieder nachgesagt wird, eigentlich Wild-West-Geschichten im Weltraum oder in der Zukunft zu erzählen.

Der waffenfetischistische oder militaristische Erzählmodus funktioniert fast wie ein Filter, der über Geschichten geschoben wird, um sie marktkompatibel zu machen. Kaum ein anderes Genre adaptiert so viele bereits markterprobte Literaturvorlagen, die gleich noch eine Fangemeinde ins Kino locken.

Die bellizistische Umwidmung macht auch vor feministischer und herrschaftskritischer Science-Fiction nicht Halt, wie Ursula Le Guins mehrfach preisgekrönter Roman »Das Wort für Welt ist Wald« (1973) zeigt, eine Parabel gegen den Vietnam-Krieg und die rassistische Kolonialisierung Amerikas. Die erlebte zwar indirekt (und nicht offiziell) eine Verfilmung mit James Camerons »Avatar«, der viele Motive dieses Buches aufnimmt, aber einen amerikanischen Soldaten als Helden ins Zentrum der Geschichte stellt und das gewohnte Kriegs-Geballer abliefert. Der Film, so die mittlerweile verstorbene Grand Dame der anarchistischen SF »kehrt die moralische Prämisse des Buches völlig um und stellt das zentrale und ungelöste Problem des Buches – die Massengewalt – als Lösung dar«. Kaum ein anderer SF-Film spülte so viel Geld in die Kassen wie »Avatar«.

Diese Fixierung hat aber auch mit der jüngeren Filmgeschichte zu tun. Die Kriege der Zukunft, oft draußen in der Weite des Weltraums, waren auch titelgebend für »Star Wars«. Die Filmreihe begann 1977 mit einer »Überwältigungsästhetik« (Dietmar Dath) und ist »die technisch erzeugte Evidenz des Sieges der spektakulären Kunstmittel über den spekulativen Kunstzweck (…) des Effekts über die Gattungsgesetzestreue«, so Dath weiter.

George Lucas Film von 1977 wurde stilprägend für die nachfolgende SF-Welle wie kein anderer. Der für damalige Sehgewohnheiten spektakulär inszenierte Krieg zwischen den Sternen, auch titelgebend für Ronald Reagans Aufrüstungsprogramm im Weltraum, dürfte sinnstiftend für die kriegerische Ausrichtung vieler filmischer SF-Erzählungen vergangener Jahrzehnte sein. In Deutschland lässt sich die bellizistische Tradition sogar noch ein bisschen weiter zurückverfolgen. Die »Perry Rhodan«-Reihe, seit 1961 mit mittlerweile insgesamt 190 000 Seiten Text erschienen, hatte gerade in den ersten Jahren eine prägnant bellizistische Ausrichtung.

Karl-Herbert Scheer, der die Reihe mit ins Leben gerufen hatte und zahlreiche Episoden schrieb, trug Ende der 60er Jahre deshalb sogar den Spitznamen »Handgranaten-Herbert«, da in den Heften Handlungsbögen oft militaristisch aufgelöst wurden. Das sollte aber nicht zu der Annahme führen, dass in der Science-Fiction eine strukturelle Kriegsaffinität steckt. Denn natürlich kann das Genre auch emanzipatorisch sein. Dass eine Alien-Invasion auch als politische Allegorie auf den Faschismus ohne militaristische Inszenierung auskommt, zeigt gerade eindrücklich die argentinische Netflix-Serie »Eternauta«, die aber leider eine Ausnahme bleiben dürfte.

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