Umweltschützer sehen Mehrweg in Gefahr

Bundesumweltministerin will Quote für wiederverwendbare Getränkeverpackungen abschaffen

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.

Clemens Stroetmann erinnert sich: »Wir wollten kein unverbindliches ›Schauen wir mal‹, wir wollten ein verpflichtendes Handeln«, erzählt der ehemalige Bundesumweltstaatssekretär. Vor ziemlich genau 25 Jahren, im Sommer 1991, schuf nämlich sein damaliger Chef, Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU), mit der »Verordnung über die Vermeidung und Verwertung von Verpackungsabfällen« die Grundlagen des Mehrweg-Pfandsystems, wie man es heutzutage in Deutschland kennt.

Was Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) vorhat, hält Stroetmann für einen »Rückschritt« und »umweltpolitisch nicht akzeptabel«. Im derzeit kursierenden Entwurf für ein Verpackungsgesetz will die SPD-Frau nämlich die sogenannte Mehrwegschutzquote abschaffen. Diese gibt an, wie hoch der Anteil von wiederverwendbaren Mehrwegverpackungen bei Getränken sein soll. Wird dieser unterschritten, drohen der Industrie - zumindest theoretisch - Konsequenzen.

Biertrinken ist am umweltfreundlichsten

Berlin. Das beliebteste Getränk der Menschen hierzulande ist nicht das Bier. Es ist Wasser; auch was verpackte Darreichungsformen angeht. Von 31,7 Milliarden Litern, die man im Jahr hierzulande aus Flaschen, Dosen oder Tetrapacks trank, waren 44,3 Prozent schnödes H2O. 34,4 Prozent waren Erfrischungsgetränke wie Cola oder Spezi. Und mit 21,3 Prozent erst auf Platz drei kam der seit 1516 nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraute Gerstensaft inklusive sogenannter Biermischgetränke.

Dies ist nicht gerade gut für die Umwelt. Denn das stille oder prickelnde Wasser wird nur zu 40,8 Prozent in Mehrwegflaschen oder anderen ökologisch vorteilhaften Verpackungen im Supermarkt angeboten. Bei den Erfrischungsgetränken ist die Quote sogar noch schlechter: Mit 29,7 Prozent wird nicht einmal jede dritte Cola aus einer Mehrwegflasche getrunken.

Anders sieht es beim Bier aus. Dank der knapp 1400 Brauereien und Kunden hierzulande, die überwiegend auf Glasflaschen setzen, ist das alkoholische Getränk das einzige, bei dem die sogenannte Mehrwegschutzquote von 80 Prozent seit zehn Jahren konsequent eingehalten wird. Derzeit liegt sie bei 83,6 Prozent.
Insgesamt wird nicht einmal jedes zweite Getränk aus einer Mehrwegflasche getrunken. So ist die Quote innerhalb von zehn Jahren von 66,3 Prozent im Jahr 2004 auf 45,1 Prozent im Jahr 2014 gesunken, wobei gleichzeitig der Anteil sogenannter ökologisch vorteilhafter Einweg-Getränkeverpackungen von 4,9 auf 1,0 Prozent gesunken ist. Auf der anderen Seite werden derzeit laut der DUH mehr als 17 Milliarden Einweg-Plastikflaschen und drei Milliarden Getränkedosen verkauft. spo

Es gab jedoch schon einmal eine Umweltministerin, die lieber an der Quote drehte, als Konsequenzen zu vollstrecken. Sie hieß Angela Merkel und ist jetzt Bundeskanzlerin. Während Töpfer 1991 eine bundesweit gültige Quote von 72 Prozent einführte, differenzierte Merkel (CDU) sie in den Jahren 1996 und 1998 je nach Getränk und Bundesland. Ihr Nachfolger Jürgen Trittin (Grüne) wollte, dass der Anteil der Mehrwegverpackungen bei Getränken wieder über 80 Prozent steigt und führte deswegen die Pfandpflicht ein. Kein Wunder also, dass Hendricks für den Grünen-Politiker »die Merkel« macht: »Weil die Handelskonzerne und großen Abfüller sich nicht ans Gesetz halten, wird einfach das Gesetz geändert«, sagte Trittin am Dienstag in den Räumen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) in Berlin. Gemeinsam wollen Trittin, Stroetmann und die DUH-Umweltschützer das Mehrwegsystem verteidigen.

Schließlich liegt Deutschland mit 213 Kilo Verpackungsabfällen pro Kopf und Jahr rund 20 Prozent über dem europäischen Durchschnitt. Die Verwendung von Einwegplastikflaschen trägt mit einem jährlichen Verbrauch von 500 000 Tonnen Kunststoff ordentlich zu diesem Trend bei. Dies ist auch der wichtigste Grund, warum es für das Mehrwegsystem seit jeher so viel Rückhalt in der Bevölkerung gab. »Die Menschen waren es leid, dass jährlich zwei bis drei Milliarden Getränkedosen und Flaschen in der Landschaft herumlagen«, erinnert sich DUH-Chef Jürgen Resch.

Auch helfen Mehrwegflaschen im Kampf gegen den Klimawandel. Pro Liter Mineralwasser in Mehrweg-Glasflaschen werden 55 Gramm an Kohlendioxid-Emissionen eingespart. Würden in Deutschland alle alkoholfreien Getränke in Mehrwegverpackungen abgefüllt, dann würden im Vergleich zur Abfüllung in Einwegverpackungen jährlich 1,26 Millionen Tonnen CO2-Emissionen eingespart.

Stroetmann, Resch und Trittin sprechen sich deswegen für eine verbindliche Quote von 80 Prozent aus. Zudem soll besser gekennzeichnet werden, was Einweg- und was Mehrweg ist. Denn auch Einwegflaschen sind im Pfandsystem. Zu guter Letzt fordern Trittin und Co. eine Abgabe auf Einweggetränkeverpackungen in Höhe von 20 Cent. »Dadurch erhalten auch Discounter wie Aldi oder Lidl einen Anreiz, Mehrwegflaschen anzubieten und sich so an den gesamtgesellschaftlichen Aufgaben von Abfallvermeidung und Klimaschutz zu beteiligen«, so Stroetmann.

Umweltministerin Hendricks hält indes den Vorstoß ihres Vorgängers für rechtlich problematisch. »Da ist das Prinzip der Verhältnismäßigkeit wohl nicht gewahrt«, meldete sie sich zu Wort. Die Zielquote sei 2005 durch die Pfandpflicht abgelöst worden und habe seitdem »verloren« in der Verordnung gestanden - Pfand sei aber das Mittel der Wahl, versuchte sich die Ministerin zu rechtfertigen.

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