Klaus Funke und seine Paganini-Erzählung »Der Teufel in Dresden«
Martin Hatzius
Lesedauer: 4 Min.
Dresden 1829: Der Teufelsgeiger Niccolò Paganini weilt in der Stadt, und alles ist in Aufruhr. Noch ehe ihn einer recht zu Gesicht bekommt, erzählt man sich die wildesten Geschichten: »Die e-Saite von Paganinis Guaneri del Gesu soll aus dem Gedärm einer toten Geliebten gesponnen sein, er trinke Schafsblut vor jedem Auftritt«, und bei seiner Ankunft in der sächsischen Residenzstadt sei »ein kleines Wesen bei ihm gewesen, ein Kind oder Kobold, wie gesagt werde«.
Wüsste der Leser dieser Zeilen nicht, dass es sich dabei nur um Paganinis kleinen Sohn Achille handeln kann, er wäre geneigt, all den Gerüchten ein weiteres hinzuzudichten: Kein anderer als Klaus Funke, jener Erzähler aus der fernen Zukunft, kann dieser Kobold sein, der der Geschichte unsichtbar und doch allgegenwärtig beiwohnt. Wie sonst wäre es dem (laut Klappentext allerdings erst 1947 geborenen) Autor möglich, von jenen längst vergangenen zwei Tagen so lebensecht zu berichten, als hätte er Paganini höchstpersönlich auf dem knochigen Schoß gesessen und all den anderen Protagonisten beständig über die Schulter gelugt? Um sich in einer historischen Epoche mit solch schlafwandlerischem erzählerischen Gespür zu bewegen, wie Klaus Funke es tut, genügt es nicht, sich nächtelang durch alte Bücher zu wälzen. Man muss den Geist der Zeit geatmet haben. Funke trägt das 19. Jahrhundert in sich wie andere die Erinnerung an die erste Liebe. Funkes Liebe ist die romantische Musik jener Jahre, ihre genialischen Schöpfer sind seine Figuren, die Sprache leiht er sich bei E.T.A. Hoffmann, Joseph von Eichendorff und Ludwig Tieck.
Weckte der Dresdner Autor in seinem Buch-Debüt »Am Ende war alles Musik« die Geister des Ehepaars Schumann und des jungen Johannes Brahms, so ist es nun also jener des Genueser Violinvirtuosen Niccolò Paganini. Eine zwielichtige, geheimnisumwobene Gestalt schon zu Lebzeiten, deren Vermögen, die Zuhörer ihrer Sinne zu berauben, ihre Herzen im Geigensturm zu erobern, seit jeher mit dem Leibhaftigen in Verbindung gebracht wurde. Einen faustischen Bund mit dem Teufel habe dieser bleiche Magier mit den pechschwarzen Augen und Haaren geschlossen, hieß es auf den Gassen der Städte, die Paganini auf seinen Konzerttouren heimgesucht hatte. Selbst Teile der Presse sahen in seinem Geigenbogen nichts anderes als einen vom Gehörnten geführten Zauberstab. Es heißt, man habe den Geiger sogar gezwungen, Briefe seiner Mutter zu veröffentlichen, um zu beweisen, dass er nicht Satans Sohn sei. Paganini beugte sich diesem Drängen, publizierte allerdings, wie man heute weiß, gefälschte Dokumente: Seine Mutter war Analphabetin. Den Wunsch, auf geweihtem Boden bestattet zu werden, verweigerte ihm die Kirche. Erst 36 Jahre nach Paganinis Tod gelang es seinem Sohn Achille, den letzten Willen des Vaters nach langwierigem und kostspieligem Procedere zu erfüllen.
Das Unerklärliche hatte Konjunktur zu Paganinis Zeiten, und so dürfte der Geiger - aus Geschäftssinn - selbst dazu beigetragen haben, den Nebel, der ihn umgab, zu verdichten. Auch der »aufgeklärten« Nachwelt, die an Zauber nicht glaubt, ist das Lüften vieler seiner Geheimnisse nicht gelungen. Ganze Jahre von Paganinis Biografie liegen noch immer im Dunkel. Klaus Funke verquickt das Gesicherte mit dem Ungreifbaren auf betörende Weise. Er ermöglicht es seinen Lesern in entzauberter Zeit, an der Magie der Romantik teilzuhaben.
Das Personal seiner Erzählung - die zwei Tage im Leben Paganinis umfasst und doch über seine ganze Größe und Tragödie Auskunft gibt - fügt sich aus einfachen Menschen und verbürgten historischen Figuren zusammen. Die Bettenmamsell Johanna Kleditzsch, das Küchenmädchen Ernestine und der Kellner Heinrich August Knöfel kommen ebenso zu ihrer Anekdote wie der gütige Sachsenkönig Anton, der alternde Dichterfürst Tieck und die gefeierte Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient. Selbst die zeitgenössische Musikkritik hat in Gestalt des Zeitungsjournalisten Adolf Preiswein ihren Auftritt. Der Geiger Louis Spohr steht Pate für die bodenständig deutsche Ablehnung des Paganini-Spiels mit Fachargumenten: »... diese Parallelläufe, Doppelterztriller und das Brillieren am Steg, oder die Geige zur Gitarre zu machen, wo die Violine nicht umsonst Streichinstrument genannt werde, all dieser Firlefanz habe keinen künstlerischen Wert ...« So meisterlich verbindet Funke Erfundenes mit Verbürgtem, so dreist verwebt er seine eigenen Ideen in das überlieferte historische Geflecht, dass der Leser nicht nur Zeuge einer spannenden Geschichte wird, sondern zugleich an ästhetischen Debatten und politischen Querelen der nachnapoleonischen Ära Teil hat. - Dass die begeisternde historische Kunsterzählung in ihrer Sprache besonders dort arg maniriert wirkt, wo Funke Paganinis Geigenzauber in Worte zu fassen sucht, sei der Unbeschreiblichkeit der Musik zulasten gelegt. Nein, ganz stimmt das nicht. Denn der musikalisch versierte Autor beschreibt Klänge zwar blumig, aber genau bis in technische Details. Allein, wo Funke auf die Wirkung dieser Musik auf menschliche Gemüter zielt, geht das Pathos manchmal mit ihm durch. Aber genau um die Unfassbarkeit dieser Wirkung geht es ja. Und deshalb sieht man dem Autor Formulierungen wie die vom »Diamantenfeuerwerk aus Tönen« gerne nach.
Klaus Funke: Der Teufel in Dresden. Ein Paganini-Roman. Faber & Faber, 140 S., geb., 15 EUR.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.