Der Unterschichtenphilosoph

Freitags Wochentipp: »Dittsche« auf seinem neuen Sendeplatz

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Er hat es wieder getan, denn er kann es nicht lassen: Horst Seehofer fordert zum gefühlt 275. Mal die Zusammenlegung von ARD und ZDF. Seine medial besten Buddys »Bild« und RTL sind natürlich sofort auf den mit »populistisch« zaghaft umschriebenen AfD-Zug gehüpft. Dass er politisch irreal ist, soziokulturell verwerflich und juristisch Unsinn - egal! Hauptsache, die CSU baggert ein bisschen am rechten Rand. Dabei wäre es sehr angebracht, das öffentlich-rechtliche System gründlich zu reformieren. Fort von Pöstchenschieberei, Pensionenirrsinn und einer Programmstruktur, die Niveau allenfalls auf zwei, drei Primetimeplätzen parkt und ansonsten immer wieder den gleichen, wohlgefälligen, geriatrischen Quatsch reproduziert.

Zum Beispiel: deutsche Schauspieler als ausländische Ermittler unter Eingeborene mit ortsansässigem Akzent zu schicken, um hiesige Befindlichkeiten im dortigen Urlaubsambiente zu verhandeln. Zwischen Kroatien und Island zieht die Krimi-Karawane nun nach Lissabon. Den Kommissar spielt Jürgen Tarrach, der das große Erdbeben in Portugals Hauptstadt von 1755 offenbar live erlebt hat und seit der EM Vollbart trägt. Was als nächstes kommt? Ein »Namibia-Krimi« mit Heino Ferch als Inspektor von Lüderitz, der zum Auftakt in Deutschsüdwest Ritualmorde an Kolonialnachfahren löst. Dazu der »Budapest-Krimi« mit Béla Réthy als Opfer einer radikalen Sekte, die Márta Szölsznölszany (Nina Kunzendorf) im Alleingang zerschlägt. Und Thomas Gottschalk als heiter bis tödlicher Dirigent Jacob Jacobson, der nach Konzerten von seinem umgebauten Fischtrawler aus Serienkiller auf den Lofoten jagt.

Zuvor aber hatte der Entertainer noch einen Auftritt im WDR: Beim gestrigen Finale von »Zimmer frei!« bescherte er der wunderbarsten Talksendung im Land ein hinreißendes Finale. Nächsten Sonntag steigt die Abschiedsparty mit allerlei Mitbewohnern von Clueso über Anne Will bis Armin Rohde; dann ist das Aufwärmprogramm für den unvergleichlichen »Dittsche« im Anschluss nach 20 Jahren Geschichte. Wobei auch der Unterschichtenphilosoph aus Hamburg verschwindet - allerdings nur auf einen anderen Sendeplatz, von dem noch zu klären sein wird, ob er der bessere ist: Die 25. Staffel startet am Freitag um 23.30 Uhr, leitet das Wochenende also eher ein als aus. Und weil sie auch am neuen Termin live ausgestrahlt wird, lässt sich nur mutmaßen, was darin zu sehen, hören, riechen ist.

Es dürfte nach zwölf Jahren und zehnmonatiger Pause aber weiterhin die Quintessenz intelligenten Aberwitzes sein, den Olli Dittrich mit den gewohnten Sidekicks Ingo (Jon Flemming Olsen) und Franz Jarnach als »Schildkröte« am 29. Februar 2004 irgendwo zwischen Altsozi und Neurechtem zur Kunstform erhob. Auch 2016 sieht sich sein »Dittsche« nämlich als Epizentrum des Weltgeschehens und verzieht dabei nie auch nur den kleinsten Muskel selbstironischer Reflexion. Deutschlands einzig wahre Alternative, sie steht für weitere zwölf Folgen am schmierigen Imbiss-Tresen im feinen Eppendorf.

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