Gönnen können

In Thüringen regiert eine rot-rot-grüne Koalition. Ein Modell für andere Länder? Vor allem eine Schule für Politiker

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 5 Min.

Schon für Sachsen-Anhalt hatten sich viele Menschen im Mitte-Links-Lager in Deutschland das erhofft, was seit Sonntag mit der Wahl zum Berliner Senat möglich erscheint: die Bildung einer weiteren rot-rot-grünen Regierungskoalition in der Republik. Weil das Bündnis aus Linkspartei, SPD und Grünen in Thüringen aus ihrer Perspektive eben doch viel mehr ist als eine Koalition, die eine rein landespolitische Bedeutung hat.

Für viele links denkende Strategen in allen drei Parteien ist Rot-Rot-Grün der große und einzig realistische Versuch, von unten her eine Mitte-Links-Koalition auf Bundesebene zu ermöglichen. Allem zum Trotz, was vor allem SPD und Grüne auf der einen und die Linkspartei auf der anderen Seite in der Außen- und Sicherheitspolitik trennt. In Sachsen-Anhalt scheiterte diese Hoffnung nicht zuletzt an dem enorm starken Wahlergebnis der AfD. In Berlin würde es laut Umfragen vor der Wahl rechnerisch für Rot-Rot-Grün reichen.

Das erste Bündnis zwischen Linkspartei, Sozialdemokraten und Grünen in Deutschland hat dabei in den bisherigen fast zwei Jahren seiner Regierungszeit in Thüringen schon gezeigt, dass es - jedenfalls auf Länderebene - ohnehin nicht so sehr die inhaltlichen Differenzen zwischen den Partnern sind, die einer rot-rot-grünen Regierung im Wege stehen. Sondern handwerkliche und persönliche Fehler einzelner, führender Protagonisten des Bündnisses. Gerade in Berlin könnte sich diese Erfahrung wiederholen - was die Sache mit der Bildung einer gemeinsamen Senatsführung nicht einfacher macht, weil es die Bedeutung eines Koalitionsvertrags - der Inhalte, nicht das Klima regelt - für ein solches Bündnis relativiert.

Das gilt umso mehr, da mehrere der inhaltlichen Punkte, die in Thüringen bislang zu einigem Streit zwischen den Bündnispartner geführt haben, in Berlin kaum eine tragende Rolle spielen dürften; beispielsweise die Frage, ob und wenn ja wo eine Mietpreisbremse eingeführt werden soll. Im Freistaat hatten sich vor allem Linkspartei und SPD über Monate hinweg einen intensiven Schlagabtausch darüber geliefert, ob über dieses Instrument versucht werden soll, in Erfurt, Jena und Weimar den oft als rasant empfundenen Anstieg von Nutzungsentgelten für Wohnungen zu bremsen. In Berlin dagegen gilt die Mietpreisbremse längst.

Dagegen könnte es durchaus zu einem Problem für eine rot-rot-grüne Koalition in der Bundeshauptstadt werden, dass die Berliner Sozialdemokraten in Regierungskoalitionen bisher ziemlich konfrontativ aufgetreten sind. Dagegen ist es ein ganz wichtiger Baustein für das Zusammenhalten von Rot-Rot-Grün in Thüringen, dass die Koalitionäre dort wirklich versuchen, auf Augenhöhe miteinander umzugehen - weil sie wissen, dass sie nur gemeinsam eine Mehrheit haben. Nicht zufällig sagte der Chef der Thüringer Staatskanzlei, Benjamin-Immanuel Hoff von der Linkspartei, erst vor wenigen Tagen: »In Thüringen praktizieren wir ein Koalitionsmodell nach dem Prinzip: Gönnen können.«

Diese Aussage, so kurz vor der Wahl erschienen in der »Berliner Zeitung« ausgerechnet durch Hoff, den rot-rot-grünen Strippenzieher in Thüringen: Das darf man durchaus als einen Wink in Richtung der Hauptstadt-SPD verstehen; als einen umso deutlicheren, weil es in der Berliner Linkspartei noch böse Erinnerungen daran gibt, wie dominant Berlins damals Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) aufgetreten war, als er die Stadt gemeinsam mit den Linken steuerte. In Thüringen bemüht sich der linke Ministerpräsident Bodo Ramelow dagegen manchmal fast krampfhaft, nicht als Vertreter seiner Partei, sondern als Ministerpräsident und Vertreter des gesamten Bündnisses aufzutreten.

Unbestritten freilich ist, wie sehr auch dieses »Gönnen können« bisweilen Konflikte begünstigt; weil es zu Situationen führen kann, in denen die wahre Stärke der Koalitionspartner verzerrt wird. Als in Thüringen beispielsweise während einer Debatte um die Vergabe von mehr oder weniger frei verfügbaren Millionen Euro aus dem Landeshaushalt die Grünen auf Grundlage dieses Prinzips für ihnen wichtige Projekte ebenso ein Drittel des Geldes beanspruchten wie es Linkspartei und Sozialdemokraten taten, war der Aufschrei groß: Frech sei das für eine Fünf-Prozent-Partei, raunten damals Vertreter der nicht-grünen Teile der Koalition in Erfurt. Am Ende setzten sich die Grünen trotzdem durch. Weil die anderen »Gönnen mussten«.

Was es letztlich umso wichtiger macht, dass Rot-Rot-Grün in Berlin - und wo auch immer es demnächst womöglich noch versucht wird - Protagonisten findet, die wirkliche Erfahrung im politischen Geschäft haben. Nur sie können Kompromisse finden, die es allen Partnern ermöglichen, ihr Gesicht zu wahren. Und nur sie sind in der Lage, Verwaltungen zu führen, die politische Projekte immerhin umsetzen müssen.

Nicht zufällig eben haben persönliche beziehungsweise handwerkliche Fehler zum Beispiel von Thüringens Bildungsministerin Birgit Klaubert von der Linkspartei in der Schulpolitik und von Thüringens grünem Migrationsminister Dieter Lauinger in der so genannten Sohnemann-Affäre um mögliche Einflussnahme Rot-Rot-Grün in Thüringen in größere Schwierigkeiten gebracht, als alle inhaltlichen Differenzen zwischen den Partnern. Klaubert und Lauinger bekleiden das erste Mal derart herausgehobene Positionen.

Rot-Rot-Grün in den Ländern ist deshalb vor allem auch das: eine Art Schule für Menschen, die irgendwann mal im Bund rot-rot-grüne Verantwortung für die Republik übernehmen könnten. Wenn es dort rechnerisch reichen sollte.

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