Gar kein Aufstand

Wie es der SPD-Spitze gelungen ist, 
dass eine Mehrheit für CETA gestimmt hat

  • Aert van Riel, Wolfsburg
  • Lesedauer: 4 Min.

So entspannt wie an diesem Montagabend hat Sigmar Gabriel lange nicht gewirkt. Nach vielen durchwachsenen Wahlergebnissen kann er vor den Journalisten endlich wieder einen persönlichen Erfolg verkünden. Der SPD-Vorsitzende hat soeben bei einem Kleinen Parteitag, den die Sozialdemokraten Konvent nennen, seine Partei davon überzeugt, unter Bedingungen für das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen CETA zu stimmen.

Etwa zwei Drittel der mehr als 200 Delegierten folgen dem Antrag des Parteivorstands. »Ich bin stolz auf die SPD, weil wir eine Diskussion geführt haben mit respektablen Argumenten auf beiden Seiten«, erklärt Gabriel nach der Veranstaltung, die im Wolfsburger Congress-Park unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Der SPD-Vorsitzende hatte lange mit seinen internen Kritikern um eine Einigung gerungen. Die Anforderungen der Sozialdemokraten an das Abkommen sind nämlich nicht erfüllt.

Ein Kompromiss, mit dem viele Funktionäre der Partei leben können, wird erst kurz vor Beginn des Konvents erzielt. Somit kann ein möglicher interner Aufstand gegen Gabriel noch einmal abgewendet werden. Beteiligt an den entscheidenden Gesprächen sind sowohl Vertreter des konservativen Flügels der Partei wie Fraktionsvize Hubertus Heil, als auch moderate SPD-Linke wie der Sprecher der Parlamentarischen Linken im Bundestag, Matthias Miersch, und der stellvertretende Bundesvorsitzende Ralf Stegner. Der Leitantrag wird entsprechend geändert.

In dem Antrag heißt es nun, dass sichergestellt werden müsse, dass durch CETA im Bereich des Investorenschutzes keine Bevorzugung von ausländischen gegenüber inländischen Investoren und Bürgern stattfinden dürfe. Des Weiteren solle das in der EU geltende Vorsorgeprinzip und ein Sanktionsmechanismus bei Verstößen der Vertragspartner gegen Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards festgeschrieben werden. Fraglich bleibt allerdings, wie diese Forderungen noch umgesetzt werden können. Der Vertrag soll in wenigen Wochen unterzeichnet werden.

Gabriel verkündet, dass er mit der kanadischen Regierung eine rechtsverbindliche Erklärung zu den genannten »Klarstellungen« abgeben wird. Dies überzeugt offenbar nicht alle Delegierten, die befürchten, dass Großkonzerne vor dem neu eingerichteten CETA-Tribunal den deutschen Staat verklagen werden, wenn sie ihre Gewinne geschmälert sehen und somit Druck auf die Gesetzgebung ausüben können. Denn es reicht nicht, wenn allein Deutschland und Kanada für eine Zusatzerklärung zu CETA sind. Auch alle anderen europäischen Staaten müssten zustimmen. Zudem soll das Abkommen trotz aller möglichen Zusätze im Kern so bleiben, wie es ist. Neuverhandlungen sind ausgeschlossen.

Die Führung der Sozialdemokraten verspricht außerdem, vor der vorläufigen Anwendung von CETA die nationalen Parlamente, das europäische Parlament und gesellschaftliche Gruppen stärker einzubinden. Dies solle durch einen »ausführlichen Anhörungsprozess« gewährleistet werden. In dem Prozess müsse geklärt werden, welche Teile des CETA-Vertrags in nationale und welche in europäische Zuständigkeit fallen. Es ist geplant, dass nur letztere Teile des Abkommens vorläufig in Kraft treten. Vollständig soll CETA erst dann gelten, wenn auch alle nationalen Parlamente der EU-Mitgliedstaaten für das Abkommen votiert haben.

Deutlich unterscheiden will Gabriel zwischen CETA und TTIP. Die Verhandlungen über den Vertrag zwischen US-Amerikanern und Europäern stocken derzeit. Der SPD-Vorsitzende hatte das Abkommen lange befürwortet, gibt sich aber seit einiger Zeit als Kritiker. »CETA ist keine Blaupause für TTIP«, behauptet er. Vielmehr sei der Vertrag mit den Kanadiern wegen seiner »hohen Standards« ein »Schutz vor schlechten Abkommen«.

Ein großes Lob sprechen Gabriel sowie sein Parteifreund und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz der kanadischen Handelsministerin Cynthia Freeland aus, die bei dem Konvent für CETA wirbt. Weitaus größeres Gewicht für viele eher linke Delegierte dürfte aber die Rede des DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann gehabt haben, der sich für eine Zustimmung zum Vorstandsantrag ausspricht.

Auf ein anderes Votum hatten die etwa 150 Globalisierungskritiker und Umweltschützer gehofft, die vor der Halle in Wolfsburg demonstrieren. Am Wochenende waren sogar mehr als 300 000 Menschen gegen die transatlantischen Freihandelsabkommen auf die Straßen gegangen.

Sigmar Gabriel wird das nicht mehr kümmern. Der SPD-Vorsitzende hat nun von seiner Partei das Mandat, sich als Bundeswirtschaftsminister weiterhin für die Umsetzung von CETA einsetzen zu dürfen. Das Votum des Konvents, das deutlicher ausgefallen ist als von vielen Beobachtern erwartet, wird Gabriel außerdem in seinem Vorhaben bestärken, im kommenden Jahr Kanzlerkandidat seiner Partei zu werden. Auch Martin Schulz traut ihm offenbar einiges zu. »Sigmar Gabriel hat Führungsfähigkeiten unter Beweis gestellt«, erklärt Schulz am Montag.

Ob Gabriel als Kanzlerkandidat neben der Unterstützung von SPD-Funktionären auch auf weite Teilen der Bevölkerung zählen kann, steht indes auf einem anderen Blatt. Die Freihandelspolitik ist jedenfalls kein Feld, auf dem der wenig beliebte Politiker bei den Wählern Pluspunkte sammeln kann.

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