Ein Haus am Fuß des Ararat

Das Museum Europäischer Kulturen zeigt in Foto und Video die »Traumorte« der Armenier

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Kaukasusrepublik Armenien, wiewohl in der heutigen Gestalt noch nicht so alt, kann auf eine mehrtausendjährige Geschichte zurückblicken. Fast alle Großkulturen der Vergangenheit, von den Assyrern bis zum Sowjetimperium, haben begehrlich auf das zwischen Georgien, Aserbaidschan, Iran und Türkei eingeklemmte Bergland geblickt, es erobert und wieder verloren. Armenien hat seine Kultur, seine Schrift und die enge Bindung an das Christentum bis heute bewahrt. Bereits im 4. Jahrhundert wurde der christliche Glaube hier Staatsreligion. Radikal veränderte sich das Schicksal der Armenier durch den Völkermord an ihnen seitens der Türken 1915: Von jenen, die die grausamen Pogrome überlebten, gingen viele ins Ausland. Den heute drei Millionen Republiks-Armeniern stehen rund sechs Millionen verstreut in aller Welt lebende Auslands-Armenier gegenüber. Die emotionale Bindung an das Heimatland haben die meisten von ihnen nicht verloren.

So scheint es logisch, 100 Jahre nach der Vertreibung aus der Türkei Armenien die Europäischen Kulturtage zu widmen. Das Museum Europäischer Kulturen stellt seine 13. Ausgabe der Reihe unter das Motto »Traumorte« und bietet dazu ein reiches Programm. »terra arMEnia« heißt die Begleitausstellung in einem ockergelb gestrichenen Raum. Zwei Aspekte untersucht sie: Welche Traumorte in der Altheimat haben Auslands-Armenier, und welche gestehen sich Inländer zu? Drei Künstler, alle mit armenischen Wurzeln, sind der Frage nachgegangen.

Über alle vier Raumwände erstrecken sich die gleichformatigen Fotos des Münchners Erol Gurian. Nach dem Studium in den USA arbeitet er als Fotograf und Fotojournalist. Auf ausgedehnten Reisen befragte er Auslands-Armenier nach Orten der Altheimat, die sie lieben. So nennt der 17-jährige Schüler Ardag aus Libanon den Platz der Republik in Jerewan: weil man sich dort gegen den Feind versammelt. Wen er meint, bleibt offen. Frisch blickt er unter seinem weißen Hut hervor, nächtlich leuchtet im stets beigeordneten Ortsfoto der Platz auf. Der 98-jährige Arsène aus Paris, Ex-Mitglied der Résistance - als ältester Befragter überspannt sein Leben beinahe die Zeit von den Vertreibungen bis heute - steht ernst und aufrecht in seinem Arbeitszimmer. In Armenien war er beeindruckt von Alten am Fuß eines Berges, die fröhlich ein bekanntes Lied anstimmten.

Sossy, Apothekerin aus Beirut, stand 2006 vor jener Kirche in Etschmiadzin, von der sie als Kind in Aleppo gesungen hatte. Artak, Musiker aus Köln, findet Ruhe nur, wo nahe Jerewan seine Eltern begraben liegen. Hamaz, Arzt ebenfalls aus Köln, ließ sich irgendwo am Fuß des Ararat ein Haus bauen und gab dafür seinen Mercedes. Den Mathematiker Claude aus Paris hat ein Kloster aus dem 9./10. Jahrhundert beeindruckt, direkt an einer tiefen Schlucht, wehrhaft bis heute; Sarkis aus Beirut wollte 1940 seiner reichen Tante nach Jerewan folgen - die aber war dort von der Sowjetmacht enteignet worden. Die Journalistin Larissa aus München liebt den Innenhof der Blauen Moschee in Jerewan mit ihrer ornamentierten Kuppel; glücklich strahlt Larissa auf dem Porträt als eine der wenigen in dieser Ausstellung.

Der armenisch-orthodoxe Priester Aret aus Köln studierte im Kloster Sewan, das ihm Heimat geworden ist; Pater Haroutioun aus Sèvres stieß im Norden der Republik auf einen Cousin. Die Ex-Krankenschwester Salpi aus Los Angeles nennt Bergkarabach als Lieblingsort: Die Berge dort erinnern an die Heimat ihrer Vorfahren in der Türkei, wo sie sich 500 Jahre gegen das Osmanische Reich gewehrt hatten und schließlich massakriert wurden. Rentnerin Victoria, auch aus Los Angeles, elegant im Sessel konterfeit, war berührt von Großmüttern, die sich durch Straßenkehren etwas Geld hinzuverdienen. Das Lokalfoto zeigt die Frauen als Silhouetten vor einer Edelboutique - auch das ist Armenien.

Hat Silvina Der-Meguerditchian, Immigranten-Enkelin aus Buenos Aires, eine Armenierin in München gefilmt, ist die 20-jährige Ani Hovakimyan aus Berlin zur Befragung nach Armenien gereist. Die Antworten dort, zum Video verknüpft, beziehen sich auf nah gelegene Orte. Für den spielenden Knirps Alex ist die Auffahrt zum Haus ein Traumort, für die kleine Anuschik die Kindereisenbahn Jerewan, für den 18-jährigen Fotografen Gevor der Ausblick auf die nächtliche Metropole. Buchhalterin Ashxen nominiert eine Festung aus dem 8. Jahrhundert; Akteur Hrayv sein Theater; Rina einen hellenistischen Tempel; Rima den Ort ihrer Jugend; und Suren einfach den Platz neben seiner Frau.

»Traumorte«. Bis 6. November im Museum Europäischer Kulturen, Arnimallee 25, Dahlem

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