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CETA-Gegner hoffen auf Karlsruhe

Verfassungsgericht entscheidet über Anträge

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Auf dem Weg zur Ratifizierung von CETA hat Sigmar Gabriel schon einige Hürden genommen. Seine SPD hat der Parteivorsitzende und Bundeswirtschaftsminister erfolgreich zur Zustimmung zum transatlantischen Vertrag gedrängt. Nun steht Gabriel erneut vor einer schweren Prüfung. Er reist zum Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe. Im kurzfristig anberaumten Eilverfahren verhandelt und urteilt der Zweite Senat unter Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle über mehrere Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Mit den Eilanträgen wollen die Freihandelskritiker die vorläufige Anwendung von CETA verhindern. Am Mittwoch will der Senat über die Anträge verhandeln und anschließend beraten. Die Entscheidung soll am Donnerstagmorgen fallen.

Der Vertrag soll eigentlich bereits am 27. Oktober bei einem europäisch-kanadischen Gipfel unterzeichnet werden. Zuvor sind Beschlüsse im EU-Ministerrat notwendig. Die Kläger wollen erreichen, dass das Verfassungsgericht den Vertreter der Bundesregierung verpflichtet, dort am 18. Oktober mit Nein zu stimmen. Im Ministerrat ist eine einstimmige Entscheidung erforderlich. Deswegen könnte die Bundesrepublik ein Veto einlegen. Wenn die Kläger scheitern sollten, werden Teile des Abkommens nach Zustimmung des EU-Parlaments vorläufig in Kraft treten.

Die Karlsruher Richter werden zunächst nur klären, wie groß die Nachteile wären, wenn die EU bei einem möglicherweise verfassungswidrigen Vertrag Fakten schafft. Zudem wägen sie ab, welchen politischen und wirtschaftlichen Schaden eine mögliche deutsche Blockade des Abkommens anrichten würde. Bislang ist geplant, dass das Gericht über die Verfassungsbeschwerden selbst, nach denen geprüft werden muss, ob CETA im Einklang mit dem Grundgesetz steht, erst später entscheiden wird. Es sei denn, die Klagen werden sofort als unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgeschmettert.

Die Unterstützung für die Klagen ist durchaus beeindruckend. Ein von der Verbraucherorganisation Foodwatch sowie den Vereinen Campact und Mehr Demokratie initiiertes Bündnis zählt mehr als 125 000 Mitkläger. Eine 70-jährige Frau aus Nordrhein-Westfalen hat zudem eine Klage mit mehr als 68 000 Vollmachten eingereicht. Auch die Linksfraktion hat in Karlsruhe eine Klage gegen CETA eingereicht. Zudem hat die Fraktion ein Organstreitverfahren gegen die Bundesregierung angestrengt. Die vierte Verfassungsbeschwerde kommt von dem Europaparlamentarier Klaus Buchner (Ökologisch-Demokratische Partei).

Die Beschwerdeführer kritisieren, dass nach einer vorläufigen Anwendung von CETA negative Folgen des Abkommens, beispielsweise im Umwelt- oder Verbraucherschutz, kaum noch rückgängig gemacht werden könnten. Zudem ist es fraglich, wie lange der Ratifizierungsprozess dauern wird. Dieser könnte sich über Jahre hinziehen. In dieser Zeit sollen aber schon Teile des Vertrags gelten, ohne dass alle nationalen Parlamente über CETA abgestimmt haben. Die Freihandelskritiker befürchten sogar, dass nicht einmal das Veto von Abgeordneten das Abkommen schnell zu Fall bringen könnte. Denn es sei möglich, dass der Ratifizierungsprozess erst dann formal abgeschlossen ist, wenn der Rat der Europäischen Union dies beschließt.

Mit CETA sollen sogenannte Investitionsgerichte verankert werden. Diese entscheiden in Streitfällen zwischen Unternehmen und nationalen Regierungen. Die Konzerne können klagen, wenn sie durch staatliche Entscheidungen ihre Gewinne geschmälert sehen. Kritiker befürchten dadurch eine Absenkung beispielsweise von Umwelt- und Verbraucherstandards. Die Gerichte könnten außerdem parteiisch sein. In der Präambel von CETA heißt es nämlich, dass Investoren im Bezug auf ihre Investitionen grundsätzlich geschützt werden sollen. Somit drohen demokratische Entscheidungsprozesse ausgehebelt zu werden. Allein die möglichen milliardenschweren Schadenersatzklagen würden die nationalen Regierungen und Parlamente dazu veranlassen, den Investoren weitgehend entgegenzukommen.

Die Gegner von CETA konnten sich auch durch die nun bekannt gewordene Vorlage der EU-Kommission für eine Zusatzerklärung zu dem Vertrag bestätigt sehen. Sigmar Gabriel hatte etwa versprochen, dass ein Sanktionsmechanismus bei Verstößen der Vertragspartner gegen Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards festgeschrieben werden sollte. Davon ist in dem Dokument keine Rede mehr.

Ein weiterer Schwerpunkt, mit dem sich die Karlsruher Richter beschäftigen werden, ist die große Macht des sogenannten Gemischten CETA-Ausschusses. Dieses mit Vertretern der Exekutive aus der EU und Kanada besetzte Gremium soll die Möglichkeit haben, Vertragsänderungen vorzunehmen. Möglich wären etwa eigenmächtige Änderungen von Protokollen und Anhängen. Zudem hätte das Gremium die Möglichkeit, die Formulierungen zum sogenannten Investitionsschutz für die Investitionsgerichte verbindlich interpretierend auszulegen. Das Bundesverfassungsgericht könnte hier einschreiten. Denn der Ausschuss unterliegt keinerlei direkter Kontrolle durch die Mitgliedstaaten der EU.

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