Thatcher und die Schotten
Schotten sind - ihre Industriellen und Großgrundbesitzer ausgenommen - generell ärmer, aber sozialer gesinnt als Engländer. Der oft karge Boden bot den Bauern ein hartes Brot und den Kumpeln ein schweres Dasein unter Tage. Das Leben in Katen auf dem Lande oder in städtischen Mietskasernen war nicht leicht, führte zur Sparsamkeit - nicht Geiz! -, aber auch zur tätigen Nachbarschaftshilfe.
Welch ein Kontrast zu den Ideen Margaret Thatchers, Tochter eines Ladenbesitzers und selbst ernannte Eiserne Lady. »Die Gesellschaft gibt es nicht, sondern nur Einzelne und ihre Familien«, gab diese bekannt - eine so extreme Stellungnahme, dass sich Theresa May nach der Wahl zur zweiten Premierministerin eilig davon distanzierte.
Das Wort »Geiz ist geil« aus dem Film »Wall Street« prägte den Ungeist der Thatcher-Jahre, aber ein Auftritt der Premierministerin vor der Generalversammlung der schottischen Kirche sagt über die angebliche Christin mehr aus. Ihre Interpretation der Parabel vom guten Samariter war originell. Statt auf die Scheinheiligkeit der beiden Gottesmänner hinzuweisen, die das hilflose Opfer des Raubüberfalls links liegen ließen, erklärte die vor drei Jahren Gestorbene: »Der Samariter konnte helfen, weil er Geld hatte.« Nichts von dessen verachtetem Außenseiterdasein, das ihn zum unerwarteten Helfer machte. Dass die Pastoren vor dieser Fehlinterpretation nicht Reißaus nahmen, zeigte Geduld, aber keineswegs Zustimmung.
Fast alles an Thatcher ging vielen Schotten - auch Walisern und Nordengländern! - auf die Nerven. Der Tonfall ihrer Stimme erinnerte peinlich an das gut situierte südenglische Bürgertum, ihre ständige Besserwisserei, Herablassung und ihr Gekeife ärgerten die Zuhörer maßlos. Der Niedergang der schottischen Tories - erst bei der Edinburgher Parlamentswahl 2016 durch das Verhältniswahlrecht abgemildert - geht auf die Erinnerung an Thatcher zurück. Sie schürte die Flammen des »Weg von England«-Brandes, war die wichtigste, aber unfreiwillige Wahlhelferin der Schottischen Nationalpartei. Ian King
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