»Wir sind der Maßstab«

Die neue Fußball-Bundestrainerin Steffi Jones mag es nicht, wenn sich ihre Mannschaft selbst kleinredet

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 6 Min.

Sie waren Profifußballerin, Organisationschefin der WM 2011, DFB-Direktorin und sind jetzt Bundestrainerin. Überall blies ihnen anfangs viel Gegenwind um die Ohren. Haben Sie sich ein besonderes dickes Fell zugelegt?
Es gab schon zu meiner aktiven Zeit genügend Trainer, die sagten, ich gehöre nicht in die Nationalmannschaft - trotzdem habe ich 111 Länderspiele gemacht. Damals habe ich die Kritik noch persönlich genommen und irgendwann nichts mehr gelesen, weil das in gewissen Foren dermaßen unter die Gürtellinie ging, dass ich schon aufhören wollte. Bundestrainerin Tina Theune-Meyer hat mich dann überzeugt, dass ich weitermache. Vor meiner Tätigkeit als OK-Präsidentin waren wieder viele der Meinung, dass es Bessere gibt. Mittlerweile kann ich mit unsachlichen Kommentaren leben, nur ganz kalt lässt es mich bis heute nicht. Aber es stimmt: Mein Fell ist dicker geworden (zeigt auf sich selbst und lacht).

Sie haben einen immensen Aufstieg hingelegt, bedenkt man, dass ihr Bruder sie einst auf dem Bolzplatz in Frankfurt-Bonames als Torpfosten benutzt hat. Stimmt das?
Manche legen Jacken ab, anderen stellen kleine Kinder als Pfosten hin (lacht). Ich war drei oder vier und weiß nur, dass ich mit dem Ball ganz gut umgehen konnte, als er auf mich zukam - der Pfosten hat also gelebt. Dann haben die Jungs gesagt: »Die kann ja kicken.« Von da an durfte ich mitspielen. Ohne meinen Bruder wäre ich sicher nicht zum Fußball kommen, der für mich dann das Auffangbecken in einem sozialen Brennpunkt sein sollte, in dem Drogen und Kriminalität den Alltag bestimmen.

Sie haben auch mal was mitgehen lassen, oder?
Ja, es gab diese Mutprobe. Ich habe damals eine Kassette von den »Drei Fragezeichen« in den Rucksack gesteckt. Auf der Rolltreppe stand schon der Hausdetektiv, der nur gesagt hat: »Das darfst du nicht machen, sonst machst du deiner Mutter Sorgen!« Das war sehr prägend. Danach habe ich keine Mutprobe mehr mitgemacht.

Was sagte Ihre Mutter zum neuesten Rollenwechsel?
Sie war die erste, der ich von der Berufung zur Bundestrainerin erzählt habe, und sie wusste sofort, dass damit mein Lebenstraum in Erfüllung geht. Sie hat nur angemerkt, dass sie nicht zu allen Spielen kommen kann, weil sie das zu sehr aufregt. Zum Heimdebüt am Samstag konnte sie auch nicht kommen, da meine Frau Nicole im Stadion war und Mama auf den Hund aufpassen musste. Unser Verhältnis war immer sehr eng. Sie ist wie der beste Kumpel für mich.

Haben Sie noch Kontakt zu ihren Brüdern, deren Schicksal - der eine drogenabhängig, der andere verlor beide Beine im Irakkrieg - in Ihrer Autobiografie beschrieben ist.
Ich habe zu meinem älteren Bruder gar kein Verhältnis mehr, weil mich die ständigen Sorgen irgendwann zu sehr belastet haben. Wenn ein Anruf kam, wusste ich nicht, ob ich wieder ins Gefängnis oder zur Polizei fahren muss. Ich holte mir damals Hilfe und beschloss, dass dies ein Ende hat. Ich bekomme zwar manchmal über drei Ecken noch mit, dass er mal wieder eine Therapie macht, aber wir haben keinen Kontakt. Bei meinem jüngeren Bruder war es auch so eine Einbahnstraße. Er hat aber wieder Kontakt zu meiner Mutter aufgenommen.

Hilft ihre Vita, um Sorgen ihrer Spielerinnen besser zu verstehen?
Empathie wird mir nachgesagt. Ich bin sehr aufmerksam, und wenn die Spielerinnen etwas belastet, können sie mit mir darüber reden.

Behandeln Sie auch die Flüchtlingsfrage? Sie gelten als Beispiel für gelungene Integration.
Unsere Spielerinnen sind nicht nur spielintelligent, sondern auch sehr interessiert. Aber ich veranstalte dazu jetzt keinen Themenabend: Ich habe das Gefühl, die Mannschaft tauscht sich ohnehin ständig über alles aus, da muss ich keine Vorgaben machen.

Sie beförderten Dzsenifer Marozsan überraschend zur neuen Spielführerin. Die in Budapest geborene Spielmacherin gilt oft als introvertiert. Warum fiel die Wahl auf sie?
Für mich ist sie die perfekte Spielführerin. Ihr Wort gilt innerhalb der Mannschaft, sie hat ein hohes Ansehen, spricht Dinge klar an und kommt auf den Punkt. Sie ist eine absolute Teamplayerin und hat zudem einen großen Fußballsachverstand sowie eine hohe Sozialkompetenz. Sie wird das Team auch nach außen hervorragend repräsentieren. Die Spielführerin muss nicht immer die Lauteste sein, sondern Persönlichkeit haben und Ausstrahlung. Das hat Dzseni.

Ihre Vorgängerin Silvia Neid sagte mal, die heutige Generation sei ziemlich brav. Bei Melanie Leupolz, Sara Däbritz oder Leonie Maier kann man sich wirklich kaum vorstellen, dass sie Schwierigkeiten machen.
Diese Generation ist sicherlich nicht ganz so laut wie meine, aber selbstbewusst und zielgerichtet. Da hilft auch, dass der Frauenfußball viel professioneller geworden ist.

Die Spielerinnen betonen oft, sie ließen viel mehr Freiheiten als Neid.
Was vorher hier stattgefunden hat, war ja erfolgreich, aber ich habe einen anderen Führungsstil. Ich möchte diesen Freiraum erst mal gewähren, bin auf der anderen Seite jedoch auch total strukturiert. Ich mag es überhaupt nicht, wenn mein Plan nicht funktioniert, aber ich setze viel auf Eigenverantwortung.

Deutschland war schon achtmal Europameister, jetzt auch noch Olympiasieger. Wie schwer ist die Bürde, mit der sie 2017 in Ihr erstes großes Turnier gehen, der EM in den Niederlanden?
Ich sagte der Mannschaft gleich im Trainingslager: Wir sind der Maßstab. Wir neigen dazu, andere Mannschaften stärker zu sehen als uns. Nennen Sie mir aber mal einen Kader, der so variabel, so ausgeglichen und individuell so gut besetzt ist. Wir können ruhig mit einer positiven Arroganz antreten.

Sie verhalfen mit Hasret Kayikci zuletzt einer türkischstämmigen Spielerin zum Debüt. Sie bezeichnen sie als Straßenfußballerin, die neue Impulse bringen könne. Aber ist sie nicht viel mehr: ein Zeichen an muslimischen Mädchen, dass sie es auch im Fußball weit bringen können?
Wir haben nicht viele Spielerinnen mit Migrationshintergrund, die für uns infrage kommen, daher ist es ganz wichtig, solche Spielerinnen als Vorbild zu nutzen. Hasret soll ein schönes Beispiel sein, ich will sie aber auch nicht als Instrument einsetzen.

In dieser Hinsicht ist im Frauenfußball noch viel mehr zu tun als im Männerfußball.
Sicher. Wenn ich mitbekommen habe, dass es Väter in muslimischen Familien nicht erlauben, dass ihre Töchter Fußball spielen, ging ich oft selbst zu den Eltern hin. Am besten funktionierte das in Schulen. Aber da sind meine Möglichkeiten nun beschränkt. Ich diene vielleicht noch als Beispiel: Ein Mischling, die auch noch mit einer Frau zusammen ist, wurde Bundestrainerin. Damit zeigt der Verband am besten, wie fortschrittlich er ist.

Sie haben sich 2013 öffentlich mit ihrer Lebensgefährtin gezeigt. Im Frauenfußball ist es kein Tabuthema wie bei den Männern. Aber totale Offenheit herrscht auch noch nicht, oder?
Egal, ob man in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung lebt oder in einer heterosexuellen: Jeder sollte selbst für sich ausmachen, wie er öffentlich damit umgeht. Was mich immer stört, ist die Frage: »Warum gehen die damit nicht nach außen?« Erst mal spielt jemand Fußball. Wenn diejenige ihr Privatleben nicht preisgeben will, ist das in Ordnung. Mir war immer wichtig, dass diejenigen Kenntnis haben, die es wissen mussten: meine Familie oder der DFB. Meiner Karriere hat es sicher geholfen, dass mein Arbeitgeber tolerant ist.

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