Die Angst vor Streuobstwiesen

Erinnerungen an einen Aufenthalt 1999 in Kosovo. Von René Heilig

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.

Es gibt Länder, in die möchte ich nicht mehr fahren. Um’s Verrecken nicht! Nie wieder - und doch war ich vor zwei Jahren in Kroatien. Doch schon der Anblick des ersten gemauerten Schornsteins, der hauslos in den Himmel ragte, schnürte mir die Kehle zu. Man trieb die Menschen aus dem Haus, stellte eine brennende Kerze auf den Tisch, drehte die Propangasflasche auf. Ethnische Säuberung zum Nulltarif. Zehntausendfach auf dem Balkan geschah das so in den Bürgerkriegen.

Der eigenen Verweigerung nicht gehorchend, werde ich sicher bald nach Kosovo fahren. Und inständig hoffen, keine Streuobstwiese zu sehen. Deren Anblick motiviert das Hirn zu intimer Grausamkeit. Es sendet mir den Geruch, den menschliche Kadaver annehmen, wenn sie Tage oder vielleicht sogar Wochen nach dem Verscharren aus spatentiefen Löchern gehoben werden. Bei der Erinnerung stellt sich Brechreiz ein.

Ein Massengrab, so habe ich damals gelernt, beginnt laut Definition bei drei Personen pro Loch. Damals, auf der Wiese mit den bunten Blumen und Apfelbäumen, gab es viele Löcher.

Geschossen wurde um diese Sommerzeit 1999 nur noch selten. Die Serben, die zuvor in ihrer Provinz Terror gegen die albanische Mehrheit ausgeübt hatten, waren geflohen. So fühlten sich die beiden Kollegen vom »Stern«, die auch auf der E 752 von der mazedonischen Grenze nach Prizren unterwegs waren, vermutlich sicher. Damals war die Ermordung von Journalisten noch eine empörte Meldung wert.

In Prizren baute die Bundeswehr ihr Quartier auf. Militärstreifen fuhren gepanzert durch die Stadt und meldeten, wo sich wieder ein Serbenhaus in Rauch auflöst. Die Brandstifter lachten die Soldaten an: »Deutschland gutes Land!« Unter den albanischen Männern fand sich immer einer, der Deutsch verstand und sprach. Viele sogenannte Gastarbeiter hatten damals extra Urlaub genommen, um beim Aufteilen der Beute nicht leer auszugehen.

Wie Kletten stets dabei waren zwei schwarz gekleidete Bewacher von der dank NATO siegreichen Untergrundarmee. Die UÇK machte von Anfang an deutlich, dass sie die Herren waren. Sie boten sich den Besatzern als Ordnungsfaktor an, die Führer besetzten sofort alle einflussreichen Positionen. Heute muss man zu Hashim Thaçi, über den so viele so vieles Üble wissen, »Herr Präsident« sagen.

Nie ausgeräumt wurde der Verdacht, dass seine Freunde Feinde umbrachten, um mit Organen Handel zu treiben. Serbische Mädchen verschwanden. Der Rauschgiftmarkt hatte plötzlich neue Quellen. Nie hätte sich jemand getraut, die Typenschilder der vielen neuen BMW mit den in Westeuropa zur Fahndung ausgeschriebenen zu vergleichen.

Damals war es angezeigt, die richtigen Worte zu wählen. Die Stadt an der albanischen Grenze weiter Pec zu nennen, konnte übel ausgehen. Peja hieß sie über Nacht. Dort gibt es ein orthodoxes Kloster. Auch dank einer italienischen KFOR-Einheit, die damals das rote Anwesen bewachte. Die Geistlichen in der Festung sahen ihr Gotteshaus als serbische Insel im Meer albanischer Teufel.

Wie lange ist das her? Keine zwei Jahrzehnte. Heute steigt man in ein Flugzeug und fliegt ganz einfach nach Kosovo. Das Land ist inzwischen sogar Mitglied im Weltfußballverband FIFA. Alles also normal wie überall - nur eben dieser Brechreiz ...

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