Romantische Scheiße

Freitags Wochentipp: »Club der roten Bänder«

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Recep Tayyip Erdoğan hat ein lustiges Verhältnis zum Rechtsstaat. Daheim hackt ihn der türkische Despot nach Herzenslust in Stücke, bei uns kriegt er kaum genug von seiner Instanzenvielfalt. In Hamburg zitiert er daher mal wieder Jan Böhmermanns Schmähgedicht vor Gericht - wenn er den Verfasser schon nicht selbst im Kerker verrotten lassen darf. Derweil echauffiert sich Erdoğan lautstark über jede Kritik von außen an seinem Drang, die Pressefreiheit zu beseitigen, was schon deshalb putzig ist, weil Angela Merkel erneut lang gebraucht hat, um, was ihre zarte Klage über die Verhaftung eines Dutzends unbotmäßiger Journalisten der liberalen »Cumhuriyet« inklusive Chefredakteur angeht, von »Sorge« auf »alarmiert« zu erhöhen. Und das tat sie aus gutem Grund. In der Türkei fungieren fast nur noch soziale Medien als Korrektiv der Propaganda, die von der aufgehenden Tyrannei verbreitet wird.

Die Digitaldiktatoren Youtube und Facebook als Garanten von Vielfalt und Demokratie: Es kann einem angst und bange werden. Auch und gerade jetzt, da sich die autokratische Gema mit Youtube auf ein (streng geheimes) Verwertungssystem für lange gesperrte Musikvideos geeinigt hat. Wovon freilich nur maximal kommerzieller Pop profitiert, während die Subkultur weiter fröhlich ausgebeutet wird.

Apropos Ausbeutung: Ronny kehrt zurück auf den Bildschirm, der ulkige Affe mit eigener »Pop-Show«. Allerdings nicht mit Ottos Stimme, sondern als Attrappe am Arm des Puppenspielers Martin Reinl, der mit ihr die Fossilien der unerschöpflichen 80er Jahre reanimiert. Fast könnte man meinen, den Fernsehmachern falle nichts Neues mehr ein. Dagegen spricht höchstens zweierlei: Dass Tom Tykwer vorige Woche endlich den ersten Trailer seiner seit gefühlt zehn Jahren angekündigten Serie »Babylon Berlin« übers selbige in den 20ern gezeigt hat. Und natürlich die Fortsetzung der Stunde.

Montagabend startet Staffel 2 von »Club der roten Bänder«, jener ersten eigenproduzierten Serie von Vox, deren gigantischer Erfolg den Verdacht nährt, lineares Programm sei doch noch nicht völlig am Ende. Die Klinikgemeinschaft todkranker Teenager um den coolen Leo (Tim Oliver Schulz) darf zehn Teile lang mit ihrer »romantischen Unterhaltungsscheiße« weitermachen, wie das Hipsterorgan »Vice« ätzte. Wenn man das einzige weibliche Clubmitglied namens Emma (Luise Befort) sieht, deren blutleere Plastikschönheit alles Furchtbare am Kommerz-TV verkörpert, ist da sogar was dran. Insgesamt allerdings hebt sich auch der zweite Aufguss wohltuend ab vom Einerlei ringsum. Das junge Ensemble agiert mit instinktiver Präzision, die Bildsprache bleibt hochwertig, inhaltlich gewinnt die neue Story um den frisch erwachten Komapatienten Hugo (Nick Julius Schluck) dem Coming-of-Age-Stoff zwar wenig Neues ab. Doch in sich bleibt alles schlüssig und sehenswert. Bei ARD und ZDF würde man so etwas umgehend ins Netz abschieben. Damit ist eigentlich alles gesagt.

Vox, 7.11. , 20.15 Uhr

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