Ich, der StVO-Nazi

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

Einer meiner Nachbarn ist ein widerständiger Mensch - und ein ziemlich lustiger noch dazu. Für Personen, die ihn anpöbeln, wenn er mit dem Fahrrad auf dem Gehsteig fährt und ihn nachdrücklich darauf hinweisen, dass das Befahren eines Bürgersteiges mit einem Fahrrad gegen die doch allseits bekannte also auch ihm im Bewusstsein befindliche Straßenverkehrsordnung (StVO) verstoße, hat er einen schönen Begriff gefunden: StVO-Nazi. Über seine Erzählungen von Begegnungen mit solchen Blockwarten haben wir schon viel gelacht.

Seitdem auch ich zum StVO-Nazi wurde, ist mir allerdings das Lachen vergangen. Und das kam so: Einer der unangenehmsten Begleiterscheinungen der zunehmenden Besiedelung unseres Kiezes durch auswärtiges Volk ist der Umstand, dass dieses Völklein den Brauch aus Schwaben, Franken und Hessen mitgebracht hat, dass nur der als ordentliches Mitglied der Gesellschaft gelten kann, der auch über einen eigenen fahrbaren, vierrädrigen Untersatz verfügt. Diese fahrbaren Geldvernichtungsmaschinen wollen irgendwo abgestellt sein, im Keller wie unsereiner sein Fahrrad, kann man einen SUV ja schlecht parken. Also werden die Benzinschlucker am Straßenrand abgestellt. Und wer abends zu spät kommt, parkt halt dort, wo eigentlich laut StVO das Parken verboten ist - vor unserer Hofeinfahrt zum Beispiel.

Lange Zeit war das uns egal; ich für meinen Teil jedenfalls, habe es nicht einmal registriert, wenn ein Auto wochenlang vor unserer Einfahrt stand. Zum Problem wurde es aber, als BSR und ALBA ankündigten, fürderhin bei zugeparkter Einfahrt unsere Mülltonnen im Hof stehen zu lassen. Was verständlich ist, denn bis zur nächsten PKW-freien Straßenecke kann der Weg verdammt weit sein.

Eigentlich wäre die Einhaltung des Parkverbots ja ein Job für die Hilfssheriffs vom Ordnungsamt. Doch auf die ist kein Verlass mehr. Eine Zeit lang liefen sie zwar im Kiez Streife, fielen aber unangenehm dadurch auf, dass sie vor allem auf dem Bürgersteig fahrende Radfahrer abkassierten. Dann stellten sie die Kontrollgänge ein; vermutlich, weil sie mit dem Abschleppen von Falschparkern nicht mehr nachgekommen wären.

Auf den Staat ist also kein Verlass mehr. Die Sache stinkt aber mittlerweile buchstäblich in den Himmel, also beschloss unsere Hausgruppe zur Selbsthilfe zu greifen. Die Ex-Hausbesetzer in unserer Hausgruppe wollten sich die Finger nicht schmutzig machen, also wurde ich zum Falschparkbeauftragten ehrenhalber ernannt. Seitdem fällt mir jedes Auto auf, dass vor unserer Einfahrt abgestellt wird. Ich merke mir die Kennzeichen und klemme jedem Auto einen Zettel unter den Scheibenwischer, das abends noch vor dem Haus steht. Noch bin ich höflich (»Lieber Falschparker ...«) und drohe sanft (»sehen wir uns leider gezwungen ...«). Doch lange werde ich die Freundlichkeit nicht mehr durchhalten können. Die nächste Eskalationsstufe ist in Vorbereitung: Ab nächsten Montag kommt der Verweis auf die StVO!

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