Kondom-Plakate erregen CDU und AfD

Unionspolitiker fordert Entfernung der Werbung für Gummi-Verhütung in Greifswald / »Junge alternative« stellten Strafanzeige in Niedersachsen

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein nackertes Pärchen freut sich so sehr am Liebesspiel, dass die Bettkommode wackelt. Vor ihr liegt die aufgerissene Verpackung eines Kondoms; ein dezenter Hinweis, denn intime Körperteile zeigt die Zeichnung im Cartoon-Stil nicht. Dennoch erregt sie den Vorsitzenden der CDU-Fraktion in Mecklenburg-Vorpommerns Universitätsstadt Greifswald, Axel Hochschild. Statt Lustgefühlen hat das Plakat allerdings in ihm den Sittenwächter wachgerufen, der sogleich den Oberbürgermeister alarmiert.

Die Plakate, auf denen die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung deutschlandweit mit dem Appell »Benutzt Kondome« für den Schutz vor Geschlechtskrankheiten wirbt – sie müssen weg aus Greifswald, fordert Saubermann Hochschild. Dafür möge Oberbürgermeister Stefan Fassbinder (Grüne) sorgen, verlangt der Kommunalpolitiker in einem Brief und begründet seinen moralintriefenden Bildersturm: Die Darstellungen betonten »blickfangmäßig« den Geschlechtsverkehr, seien »obszön« und »grob anstößig«. Hochschilds Gewetter mag ältere Menschen an das westdeutsche Obrigkeitsgehabe gegenüber Kondomen erinnern, das zur Regierungszeit des CDU-Übervaters Konrad Adenauer an der Tagesordnung war. In der Ära des erzkatholischen Kanzlers wäre offene, gar staatliche Werbung für die Verhüterli undenkbar gewesen.

Noch 1959 verbot der Bundesgerichtshof das Platzieren von Automaten für »Gummischutzmittel« an öffentlich zugänglichen Orten. Wer dagegen verstoße, »verletzt Sitte und Anstand«, dozierten die Richter und vergaßen in ihrer Urteilsbegründung auch nicht zu erwähnen, dass Präservative »häufig zu nicht naturgemäßem Geschlechtsverkehr bestimmt sind«. Und: Der Anblick von Gummiautomaten könne Kinder und Jugendliche »hoffnungslos verwirren«.

Ähnliche Ängste hat womöglich noch heute CDU-Fraktionschef Hochschild. Er darf sich damit in rechtskonservativer Gesellschaft wissen, auf Linie mit der Nachwuchsorganisation der AfD, der »Jungen Alternative« (JA). Deren Landesverband Niedersachsen hatte im Juni Strafanzeige gegen die Bundeszentrale gestellt, weil sie sich mit den Plakaten der »Verbreitung pornografischer Schriften an Minderjährige« schuldig gemacht habe. Die Zeichnungen seien geeignet, »die Hypersexualisierung unserer Kinder weiter voranzutreiben«, klagen die Jungalternativen und belehren das Volk: »Wieder einmal werden die Eltern großflächig ihres grundgesetzlich garantierten Erziehungsrechts beraubt, wenn ihre Kinder tagtäglich auf dem Schulweg an Bus- und Bahnhaltestellen mit den staatlich verordneten Sex-Plakaten konfrontiert werden.«

Zurück nach Greifswald: Oberbürgermeister Fassbinder reagiert gelassen auf das CDU-Gezeter. Er konstatiert. »Die Plakate sind humorvoll und comicartig gestaltet und sprechen die Zielgruppen an. Sie zeigen keine pornografischen Darstellungen, es geht eindeutig um Aufklärung.« Er sehe keinen Handlungsbedarf, die Stadt müsse keine anderen Maßstäbe anlegen als eine Einrichtung der Bundesregierung, meint der OB.

Bei CDU-Mann Hochschild dürfte die Erregung über die nackt Kopulierenden mittlerweile abgeklungen sein. Denn inzwischen wurden die Plakate – nicht wegen der CDU-Intervention – überklebt: mit Werbung für das aktuelle Buch des Finanzstrategen Carsten Maschmeyer. Statt um Gummis, geht’s darin ums Geldmachen. Das wird dem Greifswalder Unionsmann vielleicht eher behagen.

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