Carlsen verliert das Spiel und seine Nerven

Der russische Herausforderer Karjakin gewinnt bei der Schwach-WM die achte Partie gegen den Titelverteidiger aus Norwegen

  • Andreas Asen, New York
  • Lesedauer: 3 Min.

Im ungewohnten Gefühl der Niederlage wollte Magnus Carlsen nur noch weg. Mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf eilte der völlig entnervte Schachweltmeister aus dem Saal. Das übliche Interview nach der Partie schwänzte er, und auch der Pressekonferenz blieb der 25-Jährige fern. Nein, reden wollte der Norweger nicht. Dafür saß der Frust über sein erschreckend schlechtes und überstürztes Spiel schlicht zu tief.

In der achten Partie des WM-Duells mit seinem stoisch defensiven und destruktiven Gegner Sergei Karjakin hatte er sich verzockt und die Nerven verloren. Die unerwartete Niederlage ist der negative Höhepunkt eines bislang verkorksten Duells. Carlsen spielt in New York deutlich unter seinem Niveau und so schlecht wie lange nicht. So könnte das im Vorfeld noch abwegige Szenario tatsächlich Realität werden: Dem einstigen Schachwunderkind droht der Verlust des WM-Titel.

Zwar sind noch vier Partien zu spielen, doch das Blatt hat sich spätestens jetzt zugunsten des russischen Außenseiters gewendet. Ganz gleich, was Carlsen bislang versucht hat, Karjakin hatte immer eine Antwort parat. Dazu kommen für Carlsen völlig untypische Fehler, die dem Herausforderer in die Karten spielen. Karjakin hält nun mit seiner ersten gewonnenen Partie, ausgerechnet mit dem vermeintlichen Nachteil der schwarzen Steine, alle Trümpfe in der Hand. Mit 4,5:3,5 Punkten führt der 26-Jährige, der in der neunten Partie an diesem Mittwoch zusätzlich den Vorteil der weißen Steine innehat. »Offenbar hat Magnus seine Stellung überschätzt. Das hat ihn in Schwierigkeiten gebracht, er hätte sich besser verteidigen sollen«, sagte Karjakin.

Carlsen hatte mit hohem Risiko und mehreren Bauernopfern versucht, den Russen zu überrumpeln. Es erwies sich als Bumerang. Karjakin nutzte nach der Zeitkontrolle im 40. Zug seine Chance und gewann dank eines weit vorgerückten Freibauern auf der a-Linie. Carlsen kratzte sich derweil ungläubig an der Nase, verzog das Gesicht und rutschte auf seinem Stuhl hin und her, ehe er Karjakin widerwillig die Hand reichte und seine Niederlage einräumte.

Entschieden ist das Duell noch längst nicht. »Schließlich sind noch vier Partien zu spielen, in denen alles passieren kann«, sagte Karjakin. Fakt ist aber: Carlsen benötigt eine enorme Leistungssteigung, falls er seinen Titel nicht an Karjakin verlieren will. Er muss gegen den Defensivkünstler mindestens eine Partie gewinnen, um den Tiebreak zu erzwingen. Dieser beinhaltet vier zusätzliche Partien mit einer verkürzten Bedenkzeit von 25 Minuten plus 10 Sekunden Zeitgutschrift pro Spieler und Partie.

Doch, dass das alles andere als leicht werden wird, zeigten die ersten acht Partien. Der schüchterne Karjakin ist ein Meister in der Defensive, und Carlsens so gefürchtete Improvisationsfähigkeiten greifen in New York (noch) nicht. Enden die folgenden vier Partien Unentschieden, heißt der neue Weltmeister Sergei Karjakin. Bei allem Trubel um seine Person ließ sich Karjakin dann doch noch eine kleine Spitze gegen Carlsen entlocken. »Es ist sehr befriedigend, mit schwarzen Steinen zu gewinnen«, sagte er lächelnd: »Aber gut zu spielen, ist wichtiger als die Farbe der Figuren.« SID/nd

Weiß: Magnus Carlsen (Norwegen) Schwarz: Sergej Karjakin (Russland) Damenindisch

1.d4 Sf6 2.Sf3 d5 3.e3 e6 4.Ld3 c5 5.b3 Le7 6.0-0 0-0 7.Lb2 b6 8.dxc5 Lxc5 9.Sbd2 Lb7 10.De2 Sbd7 11.c4 dxc4 12.Sxc4 De7 13.a3 a5 14.Sd4 Tfd8 15.Tfd1 Tac8 16.Tac1 Sf8 17.De1 Sg6 18.Lf1 Sg4 19.Sb5 Lc6 20.a4 Ld5 21.Ld4 Lxc4 22.Txc4 Lxd4 23.Tdxd4 Txc4 24.bxc4 Sf6 25.Dd2 Tb8 26.g3 Se5 27.Lg2 h6 28.f4 Sed7 29.Sa7 Da3 30.Sc6 Tf8 31.h3 Sc5 32.Kh2 Sxa4 33.Td8 g6 34.Dd4 Kg7 35.c5 Txd8 36.Sxd8 Sxc5 37.Dd6 Dd3 38.Sxe6+ fxe6 39.De7+ Kg8 40.Dxf6 a4 41.e4 Dd7 42.Dxg6+ Dg7 43.De8+ Df8 44.Dc6 Dd8 45.f5 a3 46.fxe6 Kg7 47.e7 Dxe7 48.Dxb6 Sd3 49.Da5 Dc5 50.Da6 Se5 51.De6 h5 52.h4 a2 0-1 Stand: Karjakin - Carlsen 4,5:3,5

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