Der Brexit vor dem höchsten Richter

Urteil könnte den britischen EU-Austritt verzögern

  • Sascha Zastiral, London
  • Lesedauer: 2 Min.

Die Worte von Lord David Neuberger, dem vorsitzenden Richter am Obersten Gericht in London, sprachen Bände über die derzeitige gesellschaftliche Stimmung in Großbritannien. »Wir ordnen an, dass niemand die Namen und Adressen von Klägern veröffentlichen oder enthüllen darf, noch die Namen oder Adressen von Kindern oder jegliche Informationen, die zur Identifikation dieser Menschen oder ihrer Familien (...) führen könnten.« Dieser Schritt sei notwendig, so Neuberger, da einige Prozessbeteiligte Gewaltandrohungen erhalten hätten.

Der ungewöhnliche Schritt verdeutlicht, wie brisant der Prozess ist, der am Montag begonnen hat und sich über vier Verhandlungstage erstrecken soll. Die Richter des obersten Gerichts gehen der Frage nach, wer die Autorität hat, Austrittsverhandlungen mit der EU in Gang zu setzen - die Regierung oder das Parlament. Der High Court in London hatte im vergangenen Monat entschieden, dass das Parlament über die Aktivierung von Artikel 50 des EU-Vertrages zum Austritt entscheiden muss. Die Regierung von Premierministerin Theresa May legte dagegen Berufung ein. Wie wichtig diese Frage ist, spiegelt sich auch in der Größe der Kammer wider: Es ist das erste Mal, dass sich alle elf Richter des Supreme Courts mit einem Fall befassen.

Eine Gruppe von Klägern um die Fondsmanagerin Gina Miller war rechtlich dagegen vorgegangen, dass die Regierung den EU-Austritt im Alleingang exekutieren wollte. Miller erklärte, dass sie den Brexit nicht aufhalten wolle. Aber sie wolle verhindern, dass die Regierung das Parlament umgehe. In Großbritannien gibt es keine ausgeschriebene Verfassung. Das Verfassungsrecht wird stattdessen aus Gesetzen, Urteilen und Konventionen abgeleitet, die von Fall zu Fall unterschiedlich gewichtet werden. Das führt zu Unklarheiten, wie beim aktuellen Verfahren deutlich wird.

Die Regierung beruft sich auf ein jahrhundertealtes königliches Hoheitsrecht, demzufolge Regierungen internationale Abkommen ohne Zustimmung des Parlaments unterzeichnen oder aufkündigen können.

Generalstaatsanwalt Jeremy Wright, der die Regierung bei dem Verfahren vertritt, erklärte, beim EU-Referendum im Juni sei klar gewesen, dass die Regierung nach einem Leave-Votum den EU-Austritt in Gang setzen werde.

Ein Urteil wird spätestens im Januar erwartet.

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