Mixt uns den Toddy!

Ein kulturhistorischer Verein pflegt das Erbe des Friedrichshagener Dichterkreises

  • Danuta Schmidt
  • Lesedauer: 3 Min.

Es war im Jahr 1996. Als hier im Land noch Umbruch war, hat einer schon daran gedacht, die fernere Vergangenheit aufzuarbeiten und das Kulturerbe zu pflegen: Rolf Lang, damals Mitarbeiter im Institut für Museumswesen in Friedrichshagen, hatte die Idee, einen kulturhistorischen Verein zu gründen, der das Erbe des Friedrichshagener Dichterkreises lebendig hält. Zum diesem Kreis, der 1890 gegründet wurde, zählten u. a. Wilhelm Bölsche und Peter Hille, damalige Mitglieder waren Maler, Schriftsteller, Lebensreformer, Bohemiens, Intellektuelle, Anarchisten. Friedrichshagen steht damit exemplarisch für einige Jahre bedeutender deutscher, wenn nicht sogar europäischer Kulturgeschichte.

Der Friedrichshagener Dichterkreis zog Berühmtheiten aus Deutschland und ganz Europa an: Lou Andreas Salomé, Knut Hamsun, Rudolf Steiner, Else Lasker Schüler oder Bertha von Suttner waren nur einige. Es wurde leidenschaftlich diskutiert, für Bildung der ärmeren Bevölkerung agitiert und Zeitung gemacht, Theateraufführungen wurden organisiert, Gedichte geschrieben und Siedlungsprojekte ersonnen. Die Mitglieder des Dichterkreises strebten nach einem erfüllten Leben in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter.

Für sein Unternehmen »Kulturhistorischer Verein Friedrichshagen e.V.« suchte Rolf Lang Mitstreiter und fand diese unter Lehrern, Verlagsvertretern, Journalisten, Buchhändlern, Restauratoren. Nun klingt »Erbe pflegen« sehr nach Staub. Dass diese Arbeit sehr lebendig sein kann, bestätigt Katrin Brandel vom Antiquariat Brandel, eine der Gründerinnen des Vereins: »Für uns ist es interessant, zu schauen: Was hat die Dichter damals bewegt? Wie haben sie ihre Themen und Geschichten publiziert? Und wie können wir diese Gedanken und Erfahrungen mit ins Heute nehmen?«

Mit etwa 20 Mitgliedern ist der Verein nicht groß, stellt aber Großes auf eigene Beine. 1998 wurde das »Dichterkreismuseum« in der Scharnweberstraße eröffnet. Die erste Ausstellung dort galt Peter Hille, dem Bohemien des Müggelsees. Später kamen andere Themen dazu, u. a. »Die Reform des Bauens«. Hier beschäftigten sich die Mitglieder mit den neuen Gartenstädten der 20er Jahre, deren Uridee aus England kam. Es ging um »Die Stadt von Morgen« und »Utopien im Grünen«, Siedlungen in Staaken, die Bruno-Taut-Siedlung oder die Gartenstadt Eden in Oranienburg, die erste Vegetarier-Siedlung Deutschlands. Andere Ausstellungen nahmen den Sexualforscher Magnus Hirschfeld in den Fokus oder die »Volksbühnen-Bewegung«, in der es galt, jedem ein bisschen Kunst zu ermöglichen. »In der aktuellen Ausstellung«, sagt Karin Brandel, »thematisieren wir die Polizeiakten der Friedrichshagener und geben Einblick in die Akte des Anarchisten und Skeptikers Gustav Landauer. Im nächsten Jahr planen wir den Einblick in die Polizeiakte von Bruno Wille.«

Begeisterten Zuspruch fand die literarische Revue »Mixt uns den Toddy!«, die in diesem Jahr mehrfach aufgeführt wurde. Sogar das vom Dichterkreis eigens gemixte Lieblingsgetränk wurde ans Tageslicht befördert. Der »Toddy« war die so genannte »Skandinavier-Milch«. Er wurde in mancher Runde gereicht und machte die Zusammenkünfte legendär.

Zur aktiven Arbeit des Vereins gehören auch Führungen durch Friedrichshagen. In einer davon mit dem Titel »Bruno Wille holt Wilhelm Bölsche ab« gingen die Spaziergänger gemeinsam auf den Wegen der beiden in Richtung Rahnsdorf und lasen aus ihren Texten. Regelmäßig wird im Verein seit 1996 die Zeitschrift »Hinter der Weltstadt« herausgegeben. In der aktuellen Nr. 25 geht es u. a. um »Monismus« als neuer Weltanschauung um 1900, Monismus als ein Ineinanderfließen des Entgegengesetzen: »Oppositionspaare wie Gefühl und Verstand, Einheit und Vielfalt, Geist und Materie, Moral- und Naturerkenntnis werden imaginär aufgelöst...« Außerdem werden in der Reihe »Edition Friedrichshagen« unbekannte Texte veröffentlicht. So wird die Kulturgeschichte Friedrichshagens fortwährend aufgearbeitet.

Am 19. Februar 2017 findet im »Dichterkreismuseum« ein »Bruno-Wille-Abend« statt und am 28. April feiert der Verein den 100. Geburtstag von Johannes Bobrowski, der am 9. April 1917 in Tilsit geboren wurde.

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