In Fahrt gekommen

Heiko Maas tut sich plötzlich durch Härte gegen Gefährder hervor. Warum nur? Von Uwe Kalbe

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

Heiko Maas ist ein guter Zuhörer. Dann hat er ein ernstes Gesicht, ist aufmerksam, fragt nach. Dass er sich zu sehr nach dem richtet, was andere ihm einflüstern, mit diesem Vorwurf kriegt er es allerdings jetzt zu tun. Seit Sigmar Gabriel, Vizekanzler und SPD-Chef, die Sicherheitspolitik zum »ursozialdemokratischen Thema« erklärt hat, sind Sozialdemokraten wie der Bundesjustizminister oder auch Fraktionschef Thomas Oppermann plötzlich zu Herolden für Gesetzesverschärfungen geworden. Mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verabredete Maas in dieser Woche den Einsatz der Fußfessel für sogenannte Gefährder sowie erleichterte und verlängerte Abschiebehaft. Nach Maas’ ausdrücklichem Plädoyer ist auch von Sanktionen gegen Herkunftsländer die Rede, die sich nicht ausreichend kooperativ bei der Rücknahme von Menschen mit Terrorabsicht zeigen. Wann hat es das schon gegeben, dass mit Entwicklungsminister Gerd Müller ein CSU-Politiker an ursozialdemokratische Gebote wie Fluchtursachenbekämpfung und Stabilitätspolitik erinnern musste!

Heiko Maas wird gern nach seiner Körpergröße beurteilt, dauernd werde er damit konfrontiert, ist zu lesen. Ein netter, spacker Minister - da würde sich mancher ins Wichtigtun flüchten. Maas nicht. Das kann nicht der Grund seiner derzeitigen Lautstärke sein. Aber vielleicht das: Eine Variante seiner zurückhaltenden Bescheidenheit ist die Loyalität gegenüber der Partei und ihren Vorsitzenden. Im Saarland, wo Heiko Maas zu Hause ist, bescherte das Schicksal ihm einst Oskar Lafontaine. Der Ministerpräsident machte 1998 den damals 32-Jährigen zum bundesweit jüngsten Minister. Dass er von Lafontaine gefördert wurde, war Maas’ Glück. Dass er mit ihm ein solches politisches Schwergewicht vor der Nase hatte, war sein Pech.

Lafontaine kehrte 1999 nach dem Zerwürfnis mit Kanzler Gerhard Schröder und dem Rücktritt als Bundesfinanzminister ins Saarland zurück und wurde Kritiker der SPD, verließ sie dann gar, um zur WASG zu wechseln, später die LINKE. Er brachte Maas damit in schwere Nöte. Spitzenkandidat der SPD an der Saar, verlor er die Landtagswahl 2004, dann die 2009. Und obwohl er seit 2000 und damit beinahe so lange Landesvorsitzender der SPD ist, wie Lafontaine es war, der es auf 19 Jahre brachte, wurde Maas in Zeitungsporträts noch immer als das »Heikochen« beschrieben, das er für Ziehvater Lafontaine einst gewesen war.

Bis ihn 2013 Sigmar Gabriel nach Berlin holte. Seither wirkt Maas wie von der Leine gelassen. Der 50-jährige, jungenhafte Typ im wohlsitzenden Anzug fällt auf in der Ministerriege, hinter seriöser Fassade scheint immer die Bereitschaft zu einem Dauerlauf zu schlummern. Sein Ministerium brachte es unter Maas bisher auf 82 Gesetzesinitiativen, wie irgendjemand nachgezählt hat. Für ihn nahm das Leben das Tempo auf, für das er geschaffen scheint. Auch privat gab es Verwirbelungen. Seit Anfang letzten Jahres ist er mit der Schauspielerin Natalia Wörner liiert, die seinem Berliner Leben zusätzliche Geschwindigkeit verleiht. Der glamourösen Seite dieser Liaison begegnet er allerdings misstrauisch und nimmt sie eher hin, als dass er sie genießt.

Was öffentliche Schlagzeilen betrifft, ist Maas ohnehin nicht auf die Schauspielerin angewiesen. Beachtung erlangt der Minister wegen seiner Gesetzesvorstöße, vielen verleiht er Gewicht mit moralischer Begründung - die Reform des Mordparagrafen, die Mietpreisbremse, Frauenquote, gleichberechtigte Homoehe oder Dopingbestrafung. Maas lehnt sich regelmäßig weit aus dem Fenster, wenn es darum geht, Pegida und Nazis zurechtzuweisen oder darum, Facebook wegen unkontrollierter Hasskommentare unter Druck zu setzen. Aber Maas wirkt zuweilen auch leicht unbekümmert für einen Justizminister, wenn er die Grenzen zwischen Exekutive und Justiz berührt. Als Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) Maas im letzten Jahr den Rücktritt anempfahl, tat er das genau deshalb. Maas hatte den Prozess um die Vergewaltigungsvorwürfe von Gina-Lisa Lohfink für seine Vorschläge zur Verschärfung des Sexualstrafrechts genutzt. Oder sie nur zufällig zur gleichen Zeit vorgebracht, wie er selbst beteuerte. Zu Ermittlungen gegen Maas führte gar die Affäre um die Bloggerseite netzpolitik.org. Veröffentlichte Dokumente des Verfassungsschutzes wurden dieser zur Last gelegt, und Maas mischte sich im Namen der Pressefreiheit ein. Der Konflikt mit dem Generalbundesanwalt mündete in dessen Entlassung durch den Minister.

Doch dies war ein Stärkebeweis. Ausgerechnet seine Loyalität könnte nun rufschädigend wirken. Jedenfalls unter Maas' bisherigen Anhängern. Im Einsatz für den Sicherheitsstaat folgt er den Vorgaben seines Parteichefs ebenso wie 2015 mit der Preisgabe der Positionen zur Vorratsdatenspeicherung. Als er sein Amt antrat, hatte Maas seine Vorgängerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) für ihre Standhaftigkeit gegen den Großen Lauschangriff gelobt. Kontinuität bei der Wahrung der Verfassungsnormen bewies er selbst im Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung - bis Gabriel auf die Linie der Union umschwenkte. Da ließ der Minister die guten Vorsätze fahren und folgte seinem Chef. Schnell ist er in Berlin geworden, der Heiko Maas.

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