Klirrende Säbel, tanzende Nymphen

Staatsoper im Schillertheater: Sven-Eric Bechtolf und Julian Crouch haben Henry Purcells »King Arthur« grandios bearbeitet

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Eingangsbild zeigt 13 aufgereihte Stühle, wie im Kino. Leute setzen sich. Ein Kind rennt, hält inne, haut der in Trauer gekleideten Mutter das Foto seines den Heldentod gestorbenen Vaters auf die Knie, als hätte sie Schuld an dessen Tod. Der auf dem Bild ist King Arthur, Held und Leitfigur, die Erzählung des Großvaters (Hans-Michael Rehberg) verlebendigt ihn. Am Schuss sitzen der Kleine und der Alte an der Hochzeitstafel, enttäuscht. Doch der Triumph wartet nicht. Das Land, eben noch von Schrecken befallen, es lebe hoch. Der Junge besteigt das schräge Flugzeug, verschrobenes Modell. Er ist nun der Held, während King Arthur als goldene Figurine in den Händen einer stolzen Schönen das Parkett beglänzt. Doch der Sieg führt den Niedergang mit. Das Hymnisch-Sieghafte ist getrübt, die Farben der Flagge bleich.

All das ist hinzuerfunden worden als Mittel der Aktualisierung, aber, ungemein wichtig, dem Gehalt nach aus der Vorlage abgeleitet. Ein seriöses Verfahren. Mit den Intentionen des Librettisten John Dryden und mit Henry Purcells musikdramatischen Implikationen kommuniziert der hinzugefügte Rahmen durchaus. Im Gesamten bleiben Kind und Großvater Teil der Handlung und vollenden die Geschichte mit, bis zu ihrem so guten wie bitteren Ende.

Aus alt mach neu. Das ist ein uraltes Prinzip. Alle Größen erhoben es zur Tugend, und Theater wäre dumm, griffe es nicht nach dem, was lockt und nach Gestaltung drängt. Brecht/Weill demonstrierten in der »Dreigroschenoper«, wie ein aufgeputzter alter Hut auf die narbenbesetzte Glatze der Verhältnisse passen kann. Das satirische Singspiel »The Beggar’s Opera« von John Gay aus London stand Ende der 1920er Jahre Pate, von Brecht ausgeschlachtet bis aufs Hemd. Und die Leute gucken sich dies Kriminal- und Lumpenstück heute noch gern an, nicht, weil die Klauereien interessieren, sondern weil in Wort und Noten genau getroffen wurde, was den Zahn der Zeit ausmacht. Besteht Kunst, wann immer sie entstand, vor dem, was gegeben ist? Bob Wilson hat vor Jahren im BE die »Dreigroschenoper« gemacht und dem ohnehin welterfolgreichen Stück so viele skurrile Farben, Formen, Klänge, Gesten eingepflanzt, dass es wie neugeboren schien.

»King Arthur« stammt wie Gays Stück aus England. Purcell schrieb die fünfaktige Oper, als Bach sechs Jahre alt war, 1691. Ein blendender Diamant der europäischen Musikgeschichte. Poesieklänge der Liebe kreuzen sich mit dem Klirren der Säbel, der Tanz der Nymphen mit den Chören der Militanten. Die Oper schließt mit einem Hohelied auf das eben geborene Great Britain. Eine Zeit, in der die Zahl der Schafherden ebenso wie die der Tuchfabriken auf den Inseln anstieg, während viele Land- und Textilarbeitern zu Schanden gingen. Eine glanzvolle bürgerliche Ära hob zum Geläut an, nachdem die Heere der Sachsen besiegt waren. Von dieser Ära kündet die meisterhaft gebaute Purcell-Oper.

»King Arthur« sei in Originalgestalt nicht gut aufführbar, heißt es in Fachkreisen. Das mag sein. Purcells vielfarbige und formenreiche Musik kann der Interessierte sich von der CD anhören. Geht er ins Theater, so erfährt und erlebt er zumeist mehr, als das Original hergibt. Zwei Regisseure realisierten in Berlin mit ihrem hoch motivierten Ensemble jene um Figuren, Texte, schauspielerische Elemente angereicherte Fassung: Sven-Eric Bechtolf und Julian Crouch, der auch das facettenreiche, phantastische Bühnenbild besorgte. Dazu die heitere Magie der Kostüme und komischen, übergroßen Masken, entworfen von Kevin Pollard.

Dies opulente Musiktheater um den gülden betuchten King herum ist voll von Zauber und gebietet über mannigfache, bisweilen irritierende Figurenbeziehungen. Puppen sind mit einbezogen, Nachbildungen der Protagonisten im Kleinformat. Fast jeder Darsteller hat Mehrfachrollen. Sinnlos, jede einzelne aufzuführen. Was um gesellschaftliche Kämpfe und die Gefährdungen der Liebe sich dreht, geht ohne burleske Elemente nicht ab. Für die stehen zwei der Zauberei mächtigen Clownsfiguren und sonstige skurrile Typisierungen. Der eine etwa zaubert sich mit aufgepflanztem Penis aus Stoff die Willigkeit der unwilligen Weiber herbei.

Zwei Seiten stehen sich gegenüber: die Briten und die Sachsen, sie bekämpfen einander. Mitten im Getümmel die allseits begehrte Emmeline (Meike Droste) und viele mehr. Osmond (Oliver Stokowski), scharf auf sie, will Emmeline seine Macht zeigen. Er schwingt die Zauberrute, und schon steht eine froststarre Winterlandschaft da. Groß ausgestellt, aber sanft, getragen die Schauder und Schönheit gleichermaßen evozierende »Kälte«-Arie, die weltberühmt geworden ist. Da pocht der Rhythmus, als schlüge der Welt unter King Arthur (Michael Rotschopf) die letzte Stunde. Ebenso erregend jenes glänzend ausgearbeitete Liebesduett unter Mond und Sternen, das Sopran und Countertenor aufs Anmutigste ausstellen. Inmitten sphärischer, mythenbesetzter Landschaften siedeln die eleganten, sinnlichen Balletteinlagen (Choreografie: Gail Skrela). Dem nicht nachstehend die Chorpartien (Staatsopernchor, Einstudierung Martin Wright), etwa jene, die das Duell zwischen den wie klapprige Attrappen dilettierenden Heerführern begleiten.

Der laute, rigide Einfall der Arbeiter in die Hochzeitgesellschaft hat seine eigene Klarheit. In King Arthurs Zeit fallen die Urgründe der modernen Klassengesellschaft.

Ideale musikalische Begleiterin und Sachwalterin des Ganzen die Akademie für Alte Musik unter René Jacobs. Ein die Sinne betörendes, nichts desto weniger Einsichten vermittelndes Musiktheater.

Nächste Vorstellungen: 19., 21., 22.1.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal