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Drei Quadratmeter pro Kind

Raumgestaltung und Raumgröße in Kitas sind wichtig für eine gute Pädagogik. Der beschleunigte Kita-Ausbau hat das Platzproblem in vielen Einrichtungen noch verschärft

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 5 Min.

»Weniger ist mehr« ist eines der Grundprinzipien in einer Kita: weniger Spielsachen, weniger Möbel, dafür mehr Platz für eigene Kreativität. »Weniger ist mehr« gilt allerdings nicht für die Größe der Räume, denn gerade die Kleinsten brauchen Platz - zum Spielen, zum Toben. Durchschnittlich drei Quadratmeter Innenraum steht einem Kita-Kind in Deutschland zur Verfügung. Das ist zu wenig, sagt die frühkindliche Wissenschaft. Die für das Bundesfamilienministerium 2015 angefertigte Expertise »Qualität für alle - wissenschaftlich begründete Standards für die Kindertagesbetreuung« empfiehlt eine Raumgröße von sechs Quadratmetern pro Kind für den Innenbereich und 15 Quadratmetern für die Außenfläche.

Diese Empfehlung wird in der Praxis jedoch nur unzureichend befolgt. Hauptgrund dafür sind fehlende klare gesetzliche Regelungen. So sind die Vorgaben für die Raumgrößen in Kitas von Bundesland zu Bundesland verschieden. Manche Länder wie z.B. Hessen haben gar keine landesrechtlichen Regelungen, sondern überlassen die Vorgaben den Kommunen. Im Schnitt stehen einem Kita-Kind zwischen 2,5 und drei Quadratmetern Innenraum und zehn bis zwölf Quadratmeter Außenfläche zur Verfügung, haben die beiden Wissenschaftler Joachim Bensel und Gabriele Haug-Schnabel in ihrem 2012 erschienenen Buch »16 Länder - 16 Raumvorgaben: Föderalismus als Chance oder Risiko?« nachgerechnet. Die Autoren der für das Bundesfamilienministerium im vergangenen Jahr erstellten Untersuchung wiederum kritisieren, dass sich in den Länderregelungen »nur selten Hinweise auf weiterführende Raumaspekte« fänden. Hinsichtlich »einer rechtlichen Verbindlichkeit« bestehe hier »dringender Nachbesserungsbedarf«.

Der Kita-Experte der GEW Norbert Hocke weist noch auf einen anderen Aspekt hin. Vielfach setze die Architektur den Gestaltungswünschen der Erzieherinnen und Erzieher Grenzen. Bei Neubauten fehle es zudem an bundeseinheitlichen Regeln für Architekten. Die Raumkapazitäten in den Ballungsräumen seien sehr begrenzt; oftmals stünden in den Innenstädten nur kleine Räume zur Verfügung. So sehe das Berliner Kita-Gesetz für jedes Kind einen Platzbedarf von lediglich drei Quadratmetern vor.

Sicherlich seien architektonische Vorgaben nicht immer optimal für eine gute Pädagogik in der Kita, sagt die Direktorin des Berliner Kita-Instituts für Qualitätsentwicklung (BeKi), Christa Preissing. Sie warnt davor, zu sehr auf die Einhaltung starrer Raumvorgaben zu blicken. In großen Städten mit einer dichten Bebauung sei es oft gar nicht möglich, größere Räume zu schaffen. »Wenn die Räume zu klein sind hilft nur eines: rausgehen in die Natur - auf den Spielplatz, in den Wald, in den Park«, so Preissing. Sie empfiehlt, den Blick mehr auf die pädagogische Praxis in den Räumen zu richten. Vor allem sei es wichtig, in einer Einrichtung die Balance zwischen dem Bedürfnis nach Bewegung und Ruhe herzustellen. »Kinder wollen auch mal unbeobachtet von Erwachsenen sein.« Kitas müssten zudem Gegenerfahrungen zur Reizüberflutung der Medien zu bieten. Also: nicht zu viel vorgefertigtes Spielmaterial, sondern Materialien, die zum eigenen Gestalten anregen.

Das alles ist im Berliner Bildungsprogramm für Kitas festgehalten, in dem der Senat Richtlinien für die Arbeit in Kindertageseinrichtungen erlassen hat und das dem pädagogischen Personal in den Einrichtungen helfen soll, Kinder möglichst gut zu fördern. »Der Raum ist nach den beiden pädagogischen Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeitern einer Kita-Gruppe der dritte Erzieher«, sagt Christa Preissing, die maßgeblich an dem Rahmenplan mitgewirkt hat. Wichtig sei zudem, so Preissing weiter, dass sich die Kinder an der Raumgestaltung beteiligen können, das heißt die Räume müssen so flexibel eingerichtet sein, dass sie nach den Wünschen und Vorstellungen der Kinder umgestaltet werden können.

Nahe dran an diesem Ideal ist die Kita Berkenbrücker Steig im Berliner Stadtteil Hohenschönhausen. In der sportbetonten Kita, die sich in der Trägerschaft der »Kinder in Bewegung« gGmbH (KiB) befindet, laden Spielgeräte dazu ein, die Motorik zu schulen. Es gibt Drehscheiben, Klettergerüste, Balanciermöglichkeiten, aber selbstverständlich auch Bauräume und eine kleine Theaterbühne. Sitzmöbel, Regale und Schränke sind mit Symbolen versehen und entsprechend beschriftet. »Die Kinder lernen so ganz spielerisch, einzelne Wörter zu lesen«, sagt die stellvertretende Leiterin der Kita, Birgit Schmieder (57). Im Bauraum werden Burgen errichtet, und das nicht nur aus Holzsteinen, sondern aus Alltagsmaterialien, wie z. B. gebrauchten Joghurtbechern. Dort, wo sich die Fünf- bis Sechsjährigen aufhalten, stehen Bilderbücher, kleine Abaki, sogar einen Computer gibt es. »Je älter die Kinder sind, desto mehr ›Input‹ brauchen sie«, erläutert Schmieder.

Zur Einrichtung gehört ein rund 5000 Quadratmeter großer Garten. Noch sieht dieser für den pädagogisch geschulten Blick wenig einladend aus, weiß Birgit Schmieder. Die Szenerie wird von Reckstangen, Schaukeln und verschalten Sandkästen bestimmt. Doch auf der Wiese hat Birgit Schmieder einen riesigen Baumstamm zum Draufrumklettern ablegen lassen. Bald schon soll das Areal gemeinsam mit den Eltern und den Kindern in ein naturnahes Außengelände mit kleinen Hügeln und Büschen verwandelt werden, in denen Kinder u.a. Verstecken spielen können.

Die Sport-Kita profitiert von ihrer Lage am Stadtrand von Berlin. Rein rechnerisch stehen den 150 Kindern je rund 33 Quadratmeter Außenfläche zum Spielen und Toben zur Verfügung - mehr als doppelt so viel wie von der Wissenschaft empfohlen. In Einrichtungen in der Innenstadt sieht es deutlich schlechter aus; hier müssen viele Erzieherinnen mit ihren Kindern auf nahe gelegene Spielplätze ausweichen - oder eben bei schlechtem Wetter drinnen bleiben.

Verbesserungen könnte ein Bundesqualitätsgesetz für Kitas bringen, sagt Norbert Hocke von der GEW. »Das Kita-System mit seinen rund 53 000 Einrichtungen und über 750 000 Beschäftigten kann nicht mehr wie vor 40 Jahren von den Kommunen allein geregelt werden«, so der stellvertretende GEW-Vorsitzende.

Eigentlich sollte es ein solches Bundesgesetz, das neben bundeseinheitlichen Vorgaben für den Betreuungsschlüssel und Aus- und Fortbildung der pädagogischen Fachkräfte auch Standards bei den Raumgrößen festlegt, bereits 2014 geben. Aufgrund des Widerstands der Länder, die höhere Kosten befürchteten, legte Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) das Vorhaben aber auf Eis. Statt einem Gesetz arbeite man derzeit lediglich an »Vorschlägen für einheitliche Standards«, heißt es vieldeutig aus dem Ministerium.

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